Was passiert, wenn man sich die Traumautos seiner Jugend nicht leisten kann, aber genügend Platz und handwerkliches Geschick hat? Möglicherweise nichts, möglicherweise entsteht jedoch ein tolles Ergebnis wie der Paulussen Beradino. Ein Sportwagen, erträumt und erbaut vor über 40 Jahren, aber heute noch modern. Ein Living Project, an dem sein Erbauer bis heute stetig Details verbessert. Hier ist seine Geschichte.

Paulussen Beradino

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Vor rund 50 Jahren erdacht, vor wenigen Jahren restauriert, bis heute modern im Design: Der Paulussen Beradino fesselt die Blicke der Passanten wo auch immer er auftaucht.

Wenn man als Sohn eines Schreiners im Rheinland groß wird, hat man es nicht immer leicht. Als Johannes P. Paulussen Mitte der 60er Jahre langsam in Richtung Führerscheinerwerb heranwuchs, gab es Traumsportwagen aus allen Richtungen. Ford räumte mit dem GT auf den Rennstrecken auf und lehrte Ferrari das Fürchten. Diese erschufen ihrerseits neue faszinierende Fahrzeuge, um auch der landesinternen Konkurrenz von Lamborghini zu begegnen – und all dies verfolgt autobegeisterte Jungen bekanntlich bis in die schönsten Träume. „Wenn du so ein Auto haben willst, dann musst du es dir schon selbst bauen“, war alles, was Paulussen Senior zu diesen Wunschträumen zu sagen hatte. J.P. dachte über diese Worte lange nach und setzte sie kurz nach seinem 20sten Geburtstag tatsächlich um. Immerhin hatte er die handwerklichen Fähigkeiten seines Vaters geerbt und das fehlende Know-How würde sich schon im parallel begonnenen Studium der Kraftfahrzeug-Technik an der Technischen Hochschule in Aachen erlernen lassen. Gesagt, getan.

Die Traumumsetzung begann mit ersten Zeichnungen im Jahr 1968. Als Inspirationsquellen wurden der Ferrari 275 GTB, der Lamborghini Miura und der Ford GT herangezogen, wobei das Endergebnis selbst auf den Zeichnungen zwar die Formensprache der späten 60er Jahre spricht, jedoch auch eigenständige Details aufzeigt. Nach einigen Ansätzen stand die Linienführung des nur 1,04 Meter hohen Sportlers schließlich fest und die Vorbereitungen für den Karosseriebau konnten beginnen. Hierzu stellte Johannes P. Paulussen zuerst ein 1:10 Modell aus Gips her, anhand dessen eine lebensgroße Positivform aus Gips und Holz erstellt wurde, von der anschließend Negativformteile aus Kunststoff abgenommen werden konnten, die schließlich für die Herstellung der eigentlichen Karosserie zum Einsatz kamen. Was sich hier in nur einem Satz darstellen lässt, war damals ein kompletter Sommer mit 16-stündigen Arbeitstagen – immer das Ziel vom eigenen Sportwagen vor Augen. Dass er eigentlich im dritten Semester hätte studieren müssen, war einstweilen nebensächlich.

Unter dem rassigen Karosseriekleid sollte ein ordentliches Triebwerk für Vortrieb sorgen – doch woher nehmen? Der Zufall spielte Herrn Paulussen einen verunfallten Porsche 911 zu, dessen Triebwerk, Bremsen, Elektrik und Lenkung in tadellosen Zustand waren. Er erbaute ein Rahmenchassis mit Heckmotor-Anordnung, dessen technische Eckpunkte er im Hinblick auf eine zukünftige Zulassungsfähigkeit immer wieder mit einem befreundeten TÜV-Prüfer absprach. Immerhin sollte sein Eigenbau später zugelassen werden und am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Viele weitere Einzelkomponenten im Innenraum und an unsichtbaren Stellen unter der Karosserie wurden von weiteren damals aktuellen Fahrzeugen entnommen – so stammen beispielsweise die beiden großen Rundinstrumente von Iso Rivolta. Einzig die Frontscheibe war eine teure Einzelanfertigung, die jedoch für die Linienführung unerlässlich war. Ziemlich zeitgleich zum erfolgreich bestandenen Studium rollte auch Paulussen’s Eigenbau 1975 fertig aus der Garage heraus und erhielt seine Kennzeichen. Das erste Kapitel war nach geschätzten 7.000 Arbeitsstunden erfolgreich bestanden – was durch die Namensgebung bekräftigt wurde: Beradino prangte von nun an am Fahrzeug. Diesen Namen sah Johannes P. Paulussen im Abspann eines Wild-West-Films und fand ihn absolut passend für sein einmaliges Projekt.

Nach einigen Jahren, in denen der Paulussen Beradino bei gutem Wetter ausgefahren wurde, zeigten sich einige Schwachstellen am Triebwerk, was zu einer größeren Investition geführt hätte. Für diese war jedoch weder Zeit noch Geld im Plan von Johannes P. Paulussen, weshalb Beradino für einige Jahre in die Garage geschoben wurde und im wahrsten Sinne des Wortes in einen Dornröschenschlaf verfiel. Rund 30 Jahre später konnte Herr Paulussen auf eine erfolgreiche Zeit als Berufsschullehrer zurückblicken. Er freute sich gerade auf eine ruhige Zeit als Ruheständler, als seine Frau ihn fragte, ob der „alte Karren“ in der Garage jetzt nicht vielleicht endlich einmal entsorgt werden könne, immerhin würden schon die Mäuse in ihm hausen. An dieser Stelle hätten sich die Wege von Beradino und J.P. Paulussen trennen können – doch seinen Jugendtraum gibt man ungern auf. Er nahm sich den Wagen vor und verwandelte das hässliche Entlein, in das er sich in den Garagenjahren verwandelt hatte, wieder in einen schönen Schwan. Dabei brachte er auch einige Detailarbeiten zu Ende, für die beim Bau kein Geld und keine Zeit da gewesen war. So erhielt Beradino erstmals eine fachmännische Lackierung, die dem Wagen deutlich besser zu Gesicht steht als der durchgefärbte, etwas matt wirkende Kunststoff der Urversion.

Sein größtes Meisterwerk behielt Beradino jedoch unverändert auch nach der Restaurierung bei: Innerhalb von wenigen Minuten lässt sich aus dem Sportwagen mit seiner als Fließheck ausgestalteten Heckscheibe ein Stufenheck machen. Hierfür gibt es eine passgenaue zweite Motorhaube, die anstelle der anderen eingehängt werden kann. Ist diese Haube installiert lässt sich zusätzlich das Dach entfernen, wodurch Beradino zum vollwertigen Cabrio wird. Um sich und eventuelle Beifahrer dabei vor Zugwind zu schützen, formte J.P. Paulussen ein Windschott aus Acrylglas, das hinter den Kopfstützen montiert wird. Da es sich bei Beradino um ein „Living Project“ handelt, verfeinert Herr Paulussen bis heute laufend kleine Details des Fahrzeugs. Alleine in den rund eineinhalb Jahren, in denen der Autor nun das Auto und seinen Erbauer kennt, wurden drei bis vier verschiedene Außenspiegel-Varianten verbaut. Die nach der Restaurierung aus Sicherheitsdenken heraus verbauten Tagfahr-LED-Leuchten sind inzwischen wieder demontiert worden. An einem Oldtimer hat so eine Spielerei nichts zu suchen. Und ein solcher ist Beradino inzwischen höchstamtlich geworden, wie das mittlerweile im Kennzeichen präsentierte „H“ deutlich zeigt, während er auf den Bildern in unserer Bildergalerie noch ohne H-Kennzeichen zu sehen ist.

Wer die Türen von Beradino öffnet, darf sich an der Detailverliebtheit von Herrn Paulussen satt sehen. Bereits die polierten Einstiegsleisten mit eingravierten und anschließend in Wagenfarbe lackierten Beradino-Schriftzügen können begeistern, aber auch die Sitze mit schwarzem Leder und gelochten Sitzbahnen in Mittelbraun oder das mit Holz vertäfelte Armaturenbrett mit mittig angeordneten Rundinstrumenten sind Augenweiden. Die drei gelochten Speichen des Sportlenkrads tragen ebenso die rote Außenfarbe, wie die Sicherheitsgurte. Auch der Motorraum ist optisch ansprechend gestaltet. Die Herkunft seines Triebwerks lässt sich auf den ersten Blick indes lediglich am Lüfterrad erahnen, das ebenso rot lackiert ist, wie sein Gehäuse und die Abdeckung der Control Unit. Dabei handelt es sich um eine kleine Arbeitserleichterung, die sich J.P. Paulussen in den Motorraum installiert hat. Von hier aus kann er den Motor direkt starten und mittels einiger Anzeigeinstrumente kleine Wartungsarbeiten wie das einstellen der Ventile oder die Vergaser-Synchronisation direkt am Motor ausführen, ohne jedes Mal ins Cockpit schlüpfen zu müssen, um den Zündschlüssel zu drehen. Das Kontroll-Panel enthält zu diesem Zweck ein Voltmeter, eine Öldruckanzeige, ein Ölthermometer, zwei Unterdruck-Manometer zum synchronisieren der Vergaserbänke und Anschlussmöglichkeiten für eine Stroboskop-Lampe und ein Schließwinkel-Messgerät.

Während Beradino im ersten Kapitel seines Autolebens lediglich rund 8.500 Kilometer abgespult hat, scheint sich dies jetzt im zweiten Abschnitt deutlich zu verändern. Auf diversen Automessen und Veranstaltungen wurde und wird der Wagen vom Erbauer und seiner Frau gern gezeigt und bis ins Detail erklärt. Dabei stellt sich immer wieder schnell heraus, dass hinter der Geschichte dieses faszinierenden Autos auch die Lebensgeschichte eines faszinierenden Mannes steckt, der nicht nur viel handwerkliches Geschick in die Verwirklichung eines Jugendtraumes gesteckt hat, sondern es bis heute schafft seine Zuhörer zu fesseln und ihnen Technik und Design näherzubringen. Wer weiß, vielleicht träumt der eine oder andere ja auch von seinem ganz individuellen Einzelstück auf vier Rädern.

Quellen: J.P. Paulussen (2 Bilder), Matthias Kierse (7 Bilder)

Autor: Matthias Kierse