Eine Testfahrt mit 625 PS stand an und war für den kompletten Tag angesetzt worden. Marke? McLaren. Modell? MP4-12C. Viel mehr war der Einladung nicht zu entnehmen und so war die Frage: „Offen oder geschlossen?“ vor Ort dann der deutlichste Wink mit dem Zaunpfahl: Beide Karosserievarianten standen zur Verfügung, um live, in Farbe und vor allem mit vollem Sound erfahren zu werden.

McLaren MP4-12C

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Das auffällige Orange des McLaren MP4-12C Coupé wurde bereits vor 50 Jahren auf die ersten Rennfahrzeuge der Marke aufgetragen und sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert.

Die Frage: „Offen oder geschlossen?“ stellten wir uns schließlich auch, als wir morgens im Cockpit eines McLaren MP4-12C Spider Platz nahmen. Der Grund für die Unentschlossenheit lag schlicht und ergreifend im recht unbeständigen Wetter, das uns bereits auf der Anfahrt zum Termin mit einem ordentlichen Regenschauer begrüßt hatte. Es sollte rund 250 Kilometer über Landstraßen und Autobahnen gehen, wobei etwa zur Halbzeit die Autos gewechselt werden sollten. Insgesamt machten sich vier Fahrzeuge auf die Tour, zwei Spider und zwei Coupés, wodurch also jedes Fahrerteam beide Karosserieformen ausprobieren konnte. Wir begannen also mit dem Faltdach, konnten dieses jedoch wetterbedingt erst einmal nicht nutzen. Doch McLaren hat an dieser Stelle clever mitgedacht und die Rückscheibe so gestaltet, dass sie per Knopfdruck einzeln versenkbar ist, wodurch man sich bei unbeständigem Wetter immerhin den Motorsound ins Cockpit holen kann.

Dieses Cockpit befand sich in einem Volcano Orange lackierten Spider, der, wie die anderen drei Fahrzeuge, direkt auf McLaren in Großbritannien zugelassen war. Als Testwagen konnte man hier natürlich auf eine reichhaltige Ausstattungsliste blicken, die neben den Carbon Ceramic Bremsen auch Sichtcarbon am Frontsplitter, den Außenspiegelgehäusen, den seitlichen Luftleitblechen an den Lufteinlassöffnungen, der Motorverkleidung und dem Diffusor umfasste. Auch das Interieur zeigte viel von der leichtgewichtigen Kohlefaser, die beim Bau des Wagens exzessiv genutzt wird, um das Gewicht so gering wie möglich zu halten. Fahrer und Beifahrer nehmen in einer Mono-Zelle Platz, die derartig verwindungssteif ist, dass für den Spider keine Änderungen gegenüber dem Coupé erfolgen müssen. Das Mehrgewicht von 40 Kilogramm rührt einzig und allein vom Mechanismus des Klappverdecks her. Dieses birgt jedoch neben der versenkbaren Rückscheibe einen weiteren Vorteil zum Coupé: Wenn das Verdeck geschlossen ist, kann der Verdeckkasten als zusätzlicher Kofferraum genutzt werden. Damit ist der MP4-12C Spider wohl das einzige Cabrio mit mehr Stauraum als das dazugehörige Coupé.

Doch was uns am heutigen Tag logischerweise mehr interessierte, als pures Zahlenvergleichen, war die Fahrdynamik des Briten. Hierzu stellte sich erneut eine Frage: „Normal, Sport oder Track?“. Diese Frage muss man gleich zweimal beantworten, da an der Mittelkonsole über zwei Drehschalter zum einen Motor und Getriebe und zum anderen die elektrohydraulischen Feder-Dämpfer-Einheiten auf die jeweiligen Gegebenheiten eingestellt werden können. Diese Einstellung wird jedoch nicht direkt nach dem Dreh des Schalters aktiv, sondern benötigt anschließend noch den Druck der Taste „Active“ zwischen den Drehschaltern. Auf den Drehschaltern finden sich weitere Knöpfe, von denen der linke den Heckflügel in eine aufrechtere Position für mehr Abtrieb bringt und der rechte das Getriebe zwischen manuell und automatisch verstellt.

Nun aber endgültig genug des technischen Geschwafels, Motor an und ab. Der Druck auf den Startknopf lässt ein verheißungsvolles Bellen des V8-Biturbo-Triebwerks erklingen. Nachdem die Heckscheibe heruntergefahren ist, ertönt der Sound umso angenehmer ins Cockpit und macht Lust auf mehr Drehzahlen. Doch erst einmal möchten Motor- und Getriebeöl auf Betriebstemperatur kommen. Abgesehen davon befinden wir uns im Stadtverkehr. Also Automatikmodus an und rollen lassen, was dem Wagen in keinster Weise schwerfällt. Hier wird direkt deutlich, dass McLaren von Anfang an auch die Alltagstauglichkeit auf der Liste hatte, als der MP4-12C entwickelt wurde.

Temperatur da, Stadtverkehr weg, ab auf die Autobahn. Der Spider schießt förmlich in Richtung Horizont, was wohl vor allem dem Drehmoment-Plateau zuzuschreiben ist, das zwischen 3.000 und 7.000 Umdrehungen pro Minute dauerhaft 600 Newtonmeter an der Hinterachse bereitstellt. Später am Tag konnten wir diese enorme Leistung mithilfe der Launch Control noch auf einem Flugfeld ausprobieren. Die beeindruckende Beschleunigungszeit von 3,1 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h konnten wir zwar witterungsbedingt nicht einfahren, aber der enorme Drang nach vorne ließ sich sowohl auf der Start- und Landebahn, als auch bei jeglichem Beschleunigungsmanöver auf Landstraßen und Autobahnen hautnah erleben. Dazu gesellt sich eine Kurvenhaftung, die eine direkte Frage aufwarf: Wozu eigentlich auf Semislicks umrüsten? Bereits die herkömmlichen Straßenreifen bieten beim MP4-12C soviel Grip, dass wohl nur eingefleischte Rennfahrer mehr benötigen dürften.

Nach einer Fahrt durch schöne Landschaften mit Höhenzügen, Kurven und Kehren ging es nach dem Mittagessen daran, den Unterschied zum Coupé auszuloten. Hierzu ging es hinter das Steuer eines in McLaren Orange lackierten Exemplares. Diese Farbe hat bei den Briten bekanntlich eine lange Historie, wurde sie doch von Firmengründer Bruce McLaren vor 50 Jahren bereits auf seine Rennfahrzeuge aufgebracht und zierte auch die LM-Variante des Supersportwagens F1 in den 1990er Jahren. Auf dem MP4-12C sorgt diese Lackierung dafür, dass die Scheinwerfer eigentlich direkt ausbleiben könnten und auch die Tagfahr-LEDs streng genommen nicht nötig sind. Vorausfahrende Verkehrsteilnehmer scheinen das Orange als derartige Signalfarbe im Rückspiegel wahrzunehmen, dass die Spur sich eigentlich von selbst freigibt.

Akustisch fällt jedoch recht schnell der Wechsel vom geöffneten Spider zum geschlossenen Coupé auf. Selbst der Unterschied zwischen der geöffneten Heckscheibe und dem rundum geschlossenen Sportler ist überdeutlich und lässt emotional schnell Freundschaftsbande zum Spider aufkommen. Das Mindergewicht zwischen Klappdach-Spider und Coupé fällt auf den kurvigen Landstraßen nicht wirklich auf, die Kurvengier ist ungebrochen groß. Umso schwerer fällt am Ende ein vernunftbetontes Fazit nebst dem Entschluss, welche Karosserievariante den Vorzug erhalten sollte. Streng genommen können beide Autos alles gleich gut, mit der Zugabe von reichlich Frischluft und mehr Sound im Spider. Zahlenfetischisten werden anmerken, dass die offene Variante weniger schnell beschleunigt (9,0 zu 8,8 Sekunden beim Spurt auf 200 km/h) und daher wohl eher das Coupé wählen. Einige Designfreunde werden weiterhin auf dem Punkt herumreiten, dass ihnen das Design nicht emotional genug ist und daher Produkte aus Italien vorzuziehen sind. Alles in Ordnung, wenn wir alle den gleichen Geschmack hätten, würden wir wohl alle Smart fahren. Zum Glück ist dem nicht so und damit lautet unser Fazit: McLaren? Offen und geschlossen!

Fotografen: Michael Müller und Matthias Kierse

Autor: Matthias Kierse