„Wenn ich Mercedes fahren will, ruf ich mir ein Taxi!“ – Dieser Ausspruch ist wohlbekannt, bekommt bei diesem Fahrzeug jedoch eine neue Bedeutung. Es handelt sich um ein „Renntaxi“, das auf vielen Rennstrecken Europas bereits unterwegs war. Das Mercedes-Benz C 55 AMG Performance Car entstand ursprünglich für die AMG Performance Trainings als Instruktorenfahrzeug. Weltweit gibt es nur vier Exemplare.

Mercedes-Benz C 55 AMG Performance Car

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Ein besonderes Fahrzeug für ein Wochenende zur Verfügung zu haben, schließt mehrere Empfindungen ein. Stolz darauf, dass man dieses Wunderwerk der Technik bewegen darf. Freude über die Formen, den Klang und den Vortrieb. Spaß an den Gesichtern der Passanten oder gegebenenfalls der Mitfahrer, wenn man mit dem Wagen vorbeirollt. Aber auch Abschiedsschmerz, wenn es am Ende der Zeit soweit ist, die Schlüssel wieder abzugeben. Über diese besonderen Erlebnisse möchte das Team vom CPzine in loser Reihenfolge berichten. Die Überschrift richtet sich dabei jeweils nach dem erlebten Zeitraum. Das kann ein Wochenende oder ein Monat, aber auch nur eine Stunde sein. Beginnen möchten wir hier und heute mit einer Seltenheit aus Affalterbach, die vielen Betrachtern vermutlich ohne Erklärung gar nicht auffallen würde: Das Mercedes-Benz C 55 AMG Performance Car.

Von außen handelt es sich auf den ersten Blick unzweifelhaft um eine C-Klasse der Baureihe W203, wie sie zigfach im normalen Straßenverkehr zu sehen ist. OK, da sind am Heck die vier ovalen Auspuffendrohre und eine kleine Abrisskante auf der Kofferraumklappe, demnach ist es wohl die späte AMG-Variante mit dem 5,5 Liter V8-Motor. Doch auch für Experten etwas unerklärlicher ist die Frontschürze. Sie weist zwar mit ihren großen Kühlluftöffnungen und den integrierten Nebelscheinwerfern ebenfalls auf die Affalterbacher Herkunft hin, aber die Luftauslässe vor den Vorderrädern gab es so nicht im normalen Programm. Sie geben den Ausschlag dafür, dass es sich nicht um ein x-beliebiges Fahrzeug von der Stange handelt.

Die Performance Cars entstanden exakt viermal im Performance Studio bei AMG. Sie dienten den AMG-Instruktoren bei Fahrtrainings als fahrbarer Untersatz und als Renntaxis für VIP-Kunden bei verschiedenen Anlässen. Hierfür erhielten die Wagen vorn eng anliegende Sportschalensitze mit Vierpunktgurten, auf der Rückbank ebenso zwei Vierpunktgurte und einen vollwertigen Überrollkäfig. Durch diesen wird die Karosserie deutlich versteift und verliert jegliche Tendenz zu Verwindungen in schnell gefahrenen Kurven. Dazu gibt es silbernes Sichtcarbon an den Dekorblenden im Armaturenbrett und in der Mittelkonsole. Das Leergewicht ohne Fahrer, aber mit vollem Benzintank liegt bei exakt 1.565 Kilogramm.

Leistung? Genug!

Unter der Haube arbeitet der bekannte, 5,5 Liter große V8-Motor, wie er auch im normalen C 55 AMG verbaut wurde. Doch es erscheint fast so, als hätten die Performance Cars besonders gut gehende Exemplare erhalten. Gemessene 285 kW/388 PS und ein maximales Drehmoment von 535 Newtonmetern sorgen für ordentlichen Vortrieb. In Zahlen ausgedrückt: Spurt auf 100 in 4,9, auf 200 in 16,8 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt jenseits von 290 km/h, wird jedoch bei diesem Wert elektronisch eingebremst. Übertragen wird die Leistung über ein Fünfgang-Speedshift-Automatikgetriebe mit manuellem Schaltmodus, in dem die Gänge über große Wippen am Sportlenkrad gewechselt werden.

Schon in ihrem ersten Leben bei AMG legten die Performance Cars Dutzende Kilometer auf diversen Rennstrecken Europas zurück, darunter Spa-Francorchamps, Paul Ricard, Hockenheim und der Nürburgring. Als schließlich der C 63 AMG auf den Markt kam, wurden die vier C 55 ausrangiert und gingen in die Hände von wohl ausgewählten Leuten, darunter ein in Carpassion.com nicht unbekanntes Autohaus. Exakt dieses Auto stand für ein Wochenende zur Verfügung. In der Zeit seit der Übernahme von AMG sind viele Kilometer auf der Rennstrecke hinzugekommen. Umso erstaunlicher, dass im Performance Car immer noch das erste Getriebe und der erste Motor ihren Dienst tun. Immerhin kennt dieses Fahrzeug ab dem Zeitpunkt, an dem das Motoröl auf Temperatur ist, eigentlich nur zwei Gaspedalstellungen: An und aus.

Bereits der Kaltstart ist ein Erlebnis für sich. Bei der Übergabe an uns steht der Wagen in einem Tiefparkdeck, Heck zur Wand, laut Aussage des Besitzers seit drei Tagen nicht bewegt. Schlüssel ins Schloss, die ersten Lebensgeister erwachen und geben erste Infos an die Tachoeinheit weiter. Ein Dreh und der Anlasser fährt erschrocken aus dem Schlaf auf. Er scheint kurz um Gnade zu winseln, weiß er doch was gleich kommt, geht dann aber doch los, um die Bestie anzuschubsen, die daraufhin unverkennbar und lautstark klarmacht, dass man sie gefälligst nicht grundlos wecken solle. Der dabei durch die Tiefgarage schallende Sound ist so eindrucksvoll, dass man das Startprozedere am Liebsten mehrfach wiederholen würde, aber irgendwie tut einem der Anlasser dann doch leid und man möchte nicht miterleben, dass er von der Bestie beim nächsten Versuch, sie aufzuwecken, stumpf aufgefressen wird.

Die Nordschleife ruft, die Sonne lacht und der AMG brüllt

Wohin soll man nun mit einem solchen Geschoss fahren? Es ist Freitag Abend, wird bald dunkel und die Touristenfahrten auf diversen Rennstrecken sind für diesen Tag bereits beendet. Naja, dann erstmal zu P…, ähm, zum Einkaufen. Ein Parkplatz in der ersten Reihe direkt vorm Eingang wird frei, soll man wirklich…? Ja, auch wenn die Leute komisch gucken, wenn ein solcher Bollerwagen vorrollt und man sich beim Aussteigen aus den Schalensitzen und dem Käfig schälen muss. Rein geht es in dieses Auto definitiv leichter als nachher wieder raus. Dafür passen die Einkäufe ganz normal in den Kofferraum.

Nach einer kurzen Runde durch die kühle Abendluft steht das C 55 AMG Performance Car anschließend im Hof und tickt sich die Wärme aus dem Blech. Die Vorfreude wächst bereits beim Abschließen. Der Kaltstart, Sie erinnern sich? Aus Rücksicht auf die Nachbarn verlegen wir selbigen auf die christliche Zeit von 7:30 Uhr, immerhin ist Samstag. Gut, wäre das Auto nicht ganz so schnell, wären wir vermutlich gemeinsam gesteinigt worden, aber die Nordschleife ruft, die Sonne lacht und der AMG brüllt – perfekte Mischung. Die Hinfahrt auf der Autobahn gestaltet sich für einen Samstag Vormittag ungewohnt verkehrsreich, aber wir haben ja sonst nichts vor und in diesem Auto reist man durchaus gern.

Ungewohnte Rolle für das Performance Car

Erstaunlicherweise kann man mit dem C 55 auch wirklich problemlos reisen. Dank der Automatik, die man in einem Sportwagen normalerweise nicht wünscht, gleitet die Limousine sauber über die Autobahn. Bei Bedarf oder Wunsch des Fahrers geht die Fuhre jedoch vehement nach vorne, unterstützt von der Möglichkeit über die Lenkradschaltwippen einen oder mehrere Gänge zurückzuschalten. Im manuellen Modus bleibt das Fahrzeug bis zum roten Bereich im angewählten Gang, wechselt dann jedoch die Fahrstufe, um den Motor nicht zu überdrehen.

Spätestens auf den kurvigen Landstraßen rund um den Nürburgring lernt man auch die 19 Zoll großen Pirelli P Zero Corsa-Pneus kennen und schätzen. Der Grip ist phänomenal, speziell, wenn die Reifen ihre Betriebstemperatur erreicht haben. Vorn haben sie die Maße 235/35 R 19, hinten 265/30 R 19. Dahinter verbirgt sich eine AMG Performance-Bremsanlage mit Scheiben aus Verbundwerkstoff und separater Kühlluftzufuhr. Um die großen Räder unterzubringen wurden von AMG vorn die Radhäuser vergrößert und hinten die Kanten umgebördelt.

Am Ring angekommen suchen wir uns einen Platz auf dem reichlich gefüllten Parkplatz an der Touristeneinfahrt und schauen uns die anwesenden Sportwagen an. Vom Performance Car nehmen nur wenige Leute Notiz, wer jedoch genau hinsieht entdeckt wohlwollendes Nicken und hochachtungsvoll hochgezogene Augenbrauen, sobald den Betrachtern klar wird, dass es kein gewöhnlicher C 55 AMG ist, der da vor ihnen steht. Während der Benz diesmal eine ungewohnte Rolle als Statist einnahm, da uns andere Verpflichtungen vom Rundendrehen abhielten, kamen zwei C 55-Fahrer langsam näher und begutachteten das Fahrzeug von allen Seiten. Im Gespräch kam heraus, dass sie den Wagen aufgrund der Frontschürze von Weitem für ein Safety Car gehalten hatten. Nicht ganz richtig, aber auch nicht völlig falsch. Dieses Bauteil zierte in der Zeit von 2004 bis 2008 das Formel 1-Medical Car, welches jedoch ein T-Modell und keine Limousine war.

…unbeschreiblich…

Auf der Rückfahrt vom Ring ergibt sich endlich die lang erwartete Chance: Freie Autobahn, kein Tempolimit, trockene Straße, warmes Motoröl. Die Nadel des Tachometers zieht ohne Rast in Richtung Skalenende und lässt beim Erreichen der elektronischen Begrenzung keine Zweifel daran übrig, dass noch ein wenig Reserve oberhalb der 290 km/h-Marke übrig wäre. Auch an den gemessenen Rundenzeiten von 1:16,1 Minuten auf dem kleinen Kurs in Hockenheim oder den 8:14,0 Minuten auf der Nordschleife besteht kein Zweifel, zumal wir bereits vor Jahren die Chance hatten, letztgenannten Kurs in diesem Auto auf den Beifahrerplätzen bei rund 90% Potenzialauslotung zu genießen. Eine völlig neue Definition von „mit Leuten im Auto fahre ich langsam“.

Dem Besitzer war es für kurze Zeit vergönnt, gleich zwei der vier gebauten Mercedes-Benz C 55 AMG Performance Cars zu haben. Mittlerweile ist der zweite Wagen jedoch an ein anderes Mercedes-Benz-Autohaus weitergereicht worden. Ein Verkauf des verbliebenen Fahrzeugs steht außer Frage. So einen Renner gibt man einfach nicht aus der Hand, aber zwei Performance Cars waren dann doch des Guten zuviel. Das dritte Fahrzeug steht dem Vernehmen nach in Nord-, das vierte in Süddeutschland. Auch sie sind weder für Geld, noch für gute Worte käuflich zu erwerben. Umso schöner, einmal in einer dieser Sportlimousinen mitzufahren oder sie selbst zu bewegen. Umso ärgerlicher, wenn es schließlich Montag morgen ist und der Wagen wieder im Tiefparkdeck abgestellt werden muss. Es stimmt, was auf einem Datenblatt im Fahrzeug steht: „Fahrspaß: unbeschreiblich, Preis: unverkäuflich“!

Fotograf und Autor: Matthias Kierse