Nach längerer Zeit gibt es wieder einen Artikel aus unserer Reihe „Wenig bekannte Sportwagen“ zu lesen. Diesmal beschäftigen wir uns mit einem britischen Supersportwagen, der zurecht eine dicke Lippe riskierte: Dem TVR Cerbera Speed12. Vor 14 Jahren feierte dieser Wagen seine Weltpremiere und versetzte die Fachwelt in Erstaunen. 800 PS bei 1.100 kg Leergewicht waren ja auch eine ordentliche Ansage an die versammelte Konkurrenz.

TVR Cerbera Speed12

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Werfen wir mal einen Blick in die Runde der 1996 erhältlichen Supersportler. Da wären gebrauchte Fahrzeuge des Ferrari F40, sowie dessen Nachfolger F50. Die stierischen Nachbarn haben den Lamborghini Diablo SV im Programm. Aus Zuffenhausen rollt der Porsche 993 GT2 und die Briten steuern mit Jaguar XJ220 und McLaren F1 zwei weitere interessante Autos bei. Mitten in dieser illustren Gruppe zündet der Kleinserienhersteller TVR eine Bombe der besonderen Art. Auf der Birmingham Motor Show dreht sich ein flaches, lila lackiertes Sportgerät im Rampenlicht, der TVR Speed12.

Dieses Fahrzeug war aufgebaut worden, um die kleine Marke TVR nach Le Mans zu bringen und dort in der GT1-Klasse antreten zu können. Unter der Haube vereinten sich zwei TVR-Sechszylinder-Reihenmotoren zu einem gewaltigen, 7,7 Liter großen V12-Triebwerk. Angegeben wurden vorsichtige 588 kW/800 PS für das Straßenfahrzeug. Wenn man bedenkt, dass der Sechszylinder einzeln bereits 480 PS abgibt, kann man sich ausrechnen, zu wieviel Leistung der V12 im Stande sein könnte. Gerüchteweise war er zumindest zu stark für den TVR-Motorenprüfstand. Wohl auch ein seltener Fall, dass nicht der zu testende Motor, sondern der Prüfstand während des Tests hochgejagt wird.

Damit das Rennfahrzeug nicht leistungsmäßig allen Gegnern nach Belieben um die Ohren fahren konnte, wurden von der FIA gezielte Maßnahmen wie Luftmengenbegrenzer angesetzt, die die Leistung auf rund 496 kW/675 PS eingrenzten. Allerdings war die Rennkarriere des Cerbera Speed12 kurz und wenig erfolgreich. Kurz nach seinem Erscheinen auf den Rennpisten wurden die GT1-Regeln verändert, um reinrassige Prototypen wie den Porsche 993 GT1 oder den Mercedes-Benz CLK GTR zulassen zu können. Gegen diese Fahrzeuge hatte der TVR wegen seiner Straßenfahrzeugbasis keine realistische Chance.

Dennoch hielten die TVR-Jungs an ihrem Flaggschiffmotor fest und waren wild entschlossen, wenn schon kein Rennfahrzeug, dann doch wenigstens einen Straßenwagen mit dieser Maschine aufzulegen. Dafür nahmen die Briten die Karosserie ihrer Cerbera und setzten gezieltes Doping an.

Dabei wuchsen dem Wagen nicht nur breitere Kotflügel und eine grimmig schauende Front, sondern auch eine dicke Lippe. Zumindest könnte man die weit herausstehende und somit als Diffusor wirkende Heckschürze als solche bezeichnen. Zusätzlich zur Straßenversion wurde ein Rennwagen für die GT2-Kategorie aufgebaut, der ein paar Rennen gewinnen konnte, jedoch häufiger mit technischen Defekten am Rand parken musste.

Der Cerbera Speed12 sollte im Jahr 2000 offiziell in den Verkauf gehen und die volle Leistung des V12 ausschöpfen dürfen. Der damalige TVR-Chef Peter Wheeler cancelte dieses Vorhaben jedoch, nachdem er einen Speed12-Prototypen über’s Wochenende mit nach Hause genommen hatte. Der Wagen seie zu kraftvoll und zu schwer zu händeln für unerfahrene Fahrer, die er unter den Vorbestellern durchaus vermutete. Man könne den Speed12 nicht einfach verkaufen und hoffen, dass nichts passieren würde. Eine gesunde, aber auch mutige Entscheidung, nachdem bereits soviel Geld in den Cerbera Speed12 geflossen war.

Zu diesem Zeitpunkt gab es mindestens zwei fertige Straßenfahrzeuge, die für Pressebilder genutzt wurden (unten zu sehen). Der silberne Speed12 wurde auseinandergenommen und als Ersatzteillager für die Rennversionen genutzt, während der Rote jahrelang hinter der TVR-Fabrik auf eine weitere Verwendung wartete. In der Zwischenzeit waren diesem Fahrzeug auch schon einige Teile entnommen worden und der allgemeine Zustand glich eher einem Restaurierungsprojekt, denn einem Straßenfahrzeug (siehe letztes Bild).

An dieser Stelle hätte die kurze Geschichte des TVR Speed12 bereits zu Ende sein können. Allerdings erschien wie aus dem Nichts im Jahr 2003 eine Werbeanzeige in einigen englischen Automagazinen, die einen TVR Cerbera Speed12 bewarb. Die britische Kleinserienmarke wollte auf Basis des verbliebenen Prototyps für einen glücklichen Kunden den perfekten Cerbera Speed12 aufbauen. So entstand ein rot metallic lackierter Donnerbolzen, der, Insiderinformationen zur Folge, rund 830 PS auf die Hinterachse bringt. Diese wird mittels eines riesigen Heckflügels auf den Asphalt gepresst. Somit hat der einzige existente Speed12 nicht nur eine dicke Lippe, sondern zusätzlich auch noch eine Biertheke stets bei sich. Das Gewicht wurde durch gezielten Ballastabbau auf unter eine Tonne gesenkt. Die daraus folgende Beschleunigung kann man sich mit Sicherheit nicht vorstellen, sowas müsste man erleben. Man darf den TVR Cerbera Speed12 wohl heute als würdigen Gegner für die Beschleunigungszeiten des Bugatti Veyron ansehen, auch wenn es leider nur ein einziges Exemplar auf den Straßen gibt.

Quelle: TVR, CP-Archiv

Autor: Matthias Kierse