Der Supersportwagen mit dem Stern hat die automobile Creme de la Creme aufgemischt. Der Verkaufserfolg des Flügeltürers übertrifft alle Erwartungen. Längst hat sich der Wagen neben den Platzhirschen aus Weissach und Maranello etabliert. Kurz vor Einführung des neuen SLS Roadster fühlt CPzine dem Coupé nochmal gehörig auf den Zahn. Eine Ausfahrt mit 571 PS und 650 Newtonmeter.

Mercedes-Benz SLS AMG Coupé

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Der vollständig aus Alu gefertigte V8 mit feingewuchteter Kurbelwelle leistet 571PS und wiegt nur 206kg.

Er nimmt die Garage fast vollständig ein. 1,94m Breite brauchen ihren Platz. Ich nähere mich respektvoll der dunklen Flunder und betätige den seltsam normal anmutenden Schlüssel. Öffnen bitte. Die Griffe fahren sanft aus den Flügeln. Nur ein leichter Zug und schon schwingt die Tür nach oben. Eine kleine Schwelle markiert das einzige Hindernis zum Einstieg. Die Gullwing Doors sollte man während des Enterns noch schließen.

Nichts ist normal am SLS. Auch nicht die Sitzposition. Fast ein wenig beengt fühlt es sich an, inhaftiert zwischen mächtigem Getriebetunnel und kleinem Seitenfenster. Die Sitze geben sich alle Mühe um es dem Piloten recht zu machen, lassen sich in allen Facetten verstellen. Das Lenkrad zeigt einem mit Alcantara Stellen an Position 3 und 9 Uhr den richtigen Griff. Es wartet der Knopf „engine start“. Vorher nochmal die Fenster öffnen. Man kann ja nie wissen.

Ein kurzes Seufzen des Anlassers, dann folgt der Aufschrei. WROOOOOOOOOOAM. BUMM. Genauso muss es sich anhören, wenn man eine 30 Jahre alte Nascar Rennmaschine aus dem Koma erweckt. Wir blubbern in Stellung „C“ Richtung Ausfahrt und geradewegs in den üblichen Stopp and Go Verkehr. Dem 6,2l V8 kann das nichts anhaben, obwohl er sich im Leerlauf schon ein wenig schüttelt in seiner trockensumpfen Kurbelwelle.

Geballte Kraft blitzartig abrufbar

Unglaublich, wie wir die Blicke auf uns ziehen. Ich und der Traum auf 4 Rädern. Megan Fox oben ohne auf einem Motorrad könnte noch auffälliger sein. Oder doch nicht? Verlegen lasse ich den Blick über die Lüftungsdüsen aus Leichtmetall gleiten und verstecke mich beschämt unter der betont hohen Gürtellinie. Die meisten Betrachter verstehen die Linien des SLS nicht auf Anhieb. Seine unglaubliche lange Haube, seine kompakte, kantige Passagierkapsel und dann der krönende Abschluss: Das Heck mit dem Knick genau in der Mitte. Die Designer haben den legendären Vorgänger zwar zitiert, aber keine billige Retrokopie geschaffen.

Der Fahrer erstickt weniger an den Proportionen als befürchtet. Die Übersichtlichkeit erweist sich als überraschend gut. Nach vorne kann man die Position des mächtigen Grills zumindest erahnen, doch die sehr breite A-Säule stört leider nachhaltig den seitlichen Blick Richtung Kurvenscheitelpunkt. Das soll mich jetzt aber nicht großartig kümmern. Wir haben ein freies Stück Landstraße vor uns und 570 PS auf 7 Gänge verteilt unterm Hintern. Der Drehschalter für das Getriebe wandert Richtung M. Gang 3, etwas Gas.

Die 8 Schmiedekolben bollern los, über 600 NM drücken uns sämig nach vorne. Es sind keine wilden Pferde die über einen herfallen. Weder der plötzlichen Schlag ins Kreuz noch die wilde Drehzahlorgie überfallen den Piloten. Stattdessen einfach Kraft im Überfluss, immer und überall. Schon geringe Änderungen des Gaspedalwinkels führen im SLS unmittelbar und ohne Verzögerung zu Vortrieb und ohrenbetäubendem Sound. Nach einer ausgedehnten Aufwärmphase für Passagiere und Antriebsstrang wird das Tempo erhöht. Ich will es wissen.

„… ein 997 Turbo kann das nicht schlechter, aber …“

In den ersten drei Gängen erdrosselt der Drehzahlbegrenzer blitzartig den Vortrieb, wenn man nicht zackig genug an der Schaltwippe zieht. Das Getrag Getriebe reagiert erst nach merklicher Verzögerung auf Befehle. Immerhin aber vermeidet das System lästige Kickdowns, die den Rhythmus des Fahrers hintergehen könnten. Den Begriff „Zurückschalten“ verbannt der mächtige AMG ohnehin in Richtung Absurdität. Ohne Zwangsbeatmung stellt das reinrassige Hochleistungstriebwerk jederzeit Unmengen an Newtonmeter zur Verfügung.

Man könnte Spitzkehren auch im 3.ten Gang umrunden und würde an mangelndem Vortrieb garantiert nicht verhungern. Einfach berauschend, wie der SLS locker im 6.ten bei Richtgeschwindigkeit vor sich hin gurgelt um dann in wenigen Augenblicken Tacho 300 aus seiner Antriebswelle aus Karbon zu schütteln. Freilich, ein 997 Turbo kann das nicht schlechter, feuert einem mit der Macht des Ladedrucks sogar noch unerbittlicher die G-Kräfte ins Kreuz. Auch ein 458 Italia jagt dem schwäbischen Tiefflieger davon.

Doch ganz ehrlich: Es sind Nuancen, die in diesem Bereich die eine Sportwagenikone von der anderen unterscheiden. Die Wahl zwischen den Fahrzeugen ist allein eine Frage des persönlichen Geschmacks. Dem Charme des brachial anmutenden V8 aus Affalterbach, der einen unter Volllast regelrecht anbrüllt, kann man jedenfalls schwer widerstehen. Immer wieder koste ich das volle Leistungsband aus und beobachte vergnügt den umher springenden Drehzahlbegrenzer, der alle Mühe hat mit dem explosivem Vortrieb mitzuhalten.

Doch wie geht er ums Eck? Geradeaus schnell waren die AMG Ausgaben mit dem Stern schon immer. Kann der SLS auch auf Rundkursen mit den Musterknaben aus Fiorano und Weissach mithalten? Datenkenner führen nun Nordschleifenzeiten ins Feld, bei denen sich der schwäbische Transaxle eher auf den hinteren Plätzen seiner Klasse einreihen muss. Doch wer den SLS selber sportlich bewegt, kann über Kritik am Fahrverhalten nur müde lächeln. Auch hier stelle ich fest: Er bewegt sich auf Augenhöhe mit den Besten.

Die Athletik erweist sich auch in schwierigen Disziplinen als makellos und vorbildlich. Die harmonische Gewichtsverteilung ist allzeit spür- und fühlbar. Absolut neutral durcheilen Bolide und Fahrer jegliche Biegung. Der Grenzbereich liegt extrem hoch und kündigt sich durch gleichmäßiges Schieben aller 4 Räder sanft an. Lastwechsel lassen sich durch die sehr direkte, angenehm leichtgängige Lenkung gekonnt parieren, sofern man sich nicht gerade in einer 200 km/h Kurve Marke „Eau Rouge“ befindet.

Bernd Schneiders Vorgabe: 7:50 min

In der Stellung ESP „normal“ fährt sich der Mercedes unter den Supersportlern wie auf Schienen, bemüht die Traktionskontrolle aber eindeutig zu oft für den engagierten Kenner der Fahrdynamik. Selbst im Modus Sport sind nur leichte Heckschwenks genehm. Erst wer alles ausschaltet, darf die ca. 1650 kg Lebendgewicht wirklich zum Tanz bitten. Dabei wackelt das Tier durchaus öfters mit dem Hintern.

Der SLS scheint allzeit bereit zum Heckschwenk und verlangt unmissverständlich einen zärtlichen Gasfuß am Kurvenausgang für eine saubere, schnelle Linie. Wer darauf keine Lust hat, kann sich alternativ am Dauerdriften versuchen. Eine Übung, die dem SLS weitaus leichter vom Sperrdifferential geht als den vergleichbaren Präzisionsinstrumenten mit Mittel- und Heckmotor. Er will nicht an jedem Curb nach dem letzten Zehntel suchen, auch superweiche Pneus hat er nicht nötig.

Wirklich aus der Ruhe bringen aber kann er mich nicht, die Bodenrakete mit Front-Mittelmotor. Dafür liegt er einfach zu gelassen über Bodenwellen und Unebenheiten. Die geschmiedeten Doppelquerlenker verleihen garantiert immer einen sicheren Tritt und perfekte Bodenhaftung. Eine Sänfte ist der von „Mr. DTM“ B. Schneider persönlich abgestimmte Sportler freilich nicht. Doch wer dem SLS ernsthaft wegen ungenügendem Federungskomfort die Sympathie verweigert, sollte besser S-Klasse fahren.

So mancher Anhänger des Klimaschutzes kritisiert das Flaggschiff aus Alu vermutlich auch wegen seiner künstlichen Fehlzündungen und dem markanten Zwischengas beim Runterschalten. Als Enthusiast der Materie sind aber doch genau diese Charakterzüge, die meine Autofahrerseele massieren. Er blubbert, rotzt, spuckt und schießt wie ein Oldie dieser SLS. Trotzdem ist er von einem notorischen Säufer weit entfernt. 14l sind kein Problem, selbst autoritäre Gangart treibt die Anzeige selten über 20.

Ein ungeheuer verführerisches und zugleich technisch feinnerviges Auto dieser Flügeltürer. Ausgerechnet die Schwaben liefern den emotionalsten Beitrag zum Thema Supersportwagen ab. Jeder Startvorgang wird zum Ereignis, jede Ausfahrt zur Hommage an die Gasdynamik. Alternativ kann man das gute Stück auch im Stand begutachten und sich an den kantigen Linien erfreuen. Noch zwei Tage steht er mit seinem grandiosen V8 in meiner Garage. Selten hab ich mich so sehr auf die nächste Ausfahrt gefreut.

Fotos: Julian Köppe