Was macht man, wenn der luxuriöseste Sternenkreuzer nach dem Geschmack der Kunden zu wenig Leistung hat? Man gibt dem Wagen mehr Leistung. So geschehen beim Mercedes-Benz 450 SEL, der von den Stuttgartern vor 35 Jahren mittels des 6,9 Liter großen V8-Motors zum 286 PS starken Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 geadelt wurde. Über 7.000 Kunden entschieden sich für das damalige Flaggschiff und gaben somit den Entwicklern Recht.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9

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Eine Mercedes-Benz S-Klasse mit langem Radstand, wie das SEL-Emblem auf dem Heck bestätigt, hatte auch um 1970 herum schon mächtig Präsenz. Voll ausgestattet mit allem was das Herz begehrt und voll neuester Technik war die S-Klasse ein Begriff, der mit der Einführung der W116-Baureihe in den Sprachgebrauch der allgemeinen Öffentlichkeit Einzug hielt. Im Verlauf der Jahre wurde sie mehr und mehr zu einem Technologieträger, immer damit verbunden, die absolute Spitze in der Modellpalette zu bilden. Auch die Motorisierungen lieferten in allen Varianten, im Besonderen natürlich beim 450 SEL mit 225 PS starkem 4,5 Liter V8 Motor, immer genügend Leistung, um die Landyachten auf damals Sportwagen-typische 200 Stundenkilometer zu beschleunigen.

Was also kann bei so viel Gebotenem noch fehlen? Mehr. So nahmen sich die Schwaben den sowieso schon irrwitzigen 6,3 Liter V8 aus dem Vorgänger 300 SEL 6.3 zur Brust und tüftelten eine Weile daran herum, bis man schließlich zufrieden war. Heraus kam die fast 70.000,- DM teure Luxuslimousine mit den Kürzeln 450 SEL 6.9 auf dem Heckdeckel. Diese konnte, trotz 1.900 kg Lebendgewicht, mit damaligen Sportwagen mithalten. Sogar auf der Rennstrecke, wie Automobiljournalist Brock Yates in den USA bewies.

Unter der Motorhaube der kommenden 7.380 Fahrzeuge, von denen der Erste 1974 auf dem Genfer Automobilsalon vorgestellt wurde, werkelte ein gewaltiger, 6,9 Liter großer V8, der das Auto mit 549 Newtonmetern Drehmoment (damals ein Rekordwert für PKWs) durch die 3-Gang Automatik vorwärts katapultierte und dank 213 kW/286 PS rasante 225 Kilometer in der Stunde – so die Werksangabe – erreichen konnte. Den ganzen Tag lang, wenn es sein musste, denn das Aggregat sollte, dank Trockensumpfschmierung und hydraulischen Ventilen, bei denen kein Nachjustieren nötig war, für rund 80.000 Kilometer – bis auf Öl- und Filterwechsel – wartungsfrei laufen können.

Die S-Klasse und neue Technologie gehen heute Hand-in-Hand, doch auch vor 35 Jahren wurde dem 450 SEL 6.9 alles gegönnt, was gut und teuer war. So verfügte er, sofern man sie auf der Optionenliste ankreuzte, über eine abgewandelte Version der hydraulisch-selbstregulierenden Federung, die Citroën fast 20 Jahre zuvor entwickelt hatte. Außerdem wurde, erstmals in einem PKW, ein elektronisch geregeltes Anti-Blockier-System für die vier Scheibenbremsen und ein ZF-Sperrdifferenzial an der Hinterachse verbaut. Kombiniert mit Leder und Holz im Innenraum fuhr man eines der besten Autos der damaligen Zeit.

All das zusammen ermöglichte es Brock Yates in einem „6.9“ in US-Spezifikation, mit diesem Wagen nach seiner Ankuft auf dem Road Atlanta-Rennkurs im US-Bundestaat Georgia 40 Runden im Renntempo zu drehen, ohne auf den rund 160 Kilometern irgendwelche technischen Probleme zu erleiden. Das allein wäre schon erwähnenswert. Der 450 SEL 6.9 hatte Yates allerdings vorher bereits nahezu 1.000 Meilen (also gut 1.500 Kilometer) auf Achse aus Manhattan zur Rennstrecke gebracht. Die Runden auf dem Rennkurs schaffte das Luxusmobil in einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 116 km/h. Entgegen der oben genannten werksseitigen Bezifferung von 225 Stundenkilometern schafften sowohl dieser, wie auch andere getestete 6.9er Höchstgeschwindigkeiten von über 240 km/h.

Wer heute einen Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 sein eigen nennen möchte, muss zwischen 30.000,- und 50.000,- € in die Hand nehmen. Für gute Exemplare wird auch gern mehr verlangt, wobei man immer auf eine funktionierende Hydraulikfederung achtgeben sollte, sonst werden die Folgekosten massiv hoch. Dafür erhält man eine Limousine im typischen Stil der 70er Jahre und mit der sprichwörtlichen Qualität eines Tresors, die aber gleichzeitig in der Lage ist, einigen Sportwagenfahrern graue Haare auf den Kopf zu zaubern, wenn der Stern auf dem Kühlergrill auch bei hohen Geschwindigkeiten nicht aus dem Rückspiegel verschwinden mag.

Quelle: Mercedes-Benz

Autor: Michael Müller