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Das Momentum bewahren!


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Hinter der Überschrift verbirgt sich Carpassion auf ganz eigene Weise. Der Papierform nach unsportlich-lahm, faktisch zum Fahren ähnlich anspruchsvoll wie das Bedienen eines „normalen“ Sportwagens.

Im Peugeot 204 Coupé auf einen Roadtrip durch Frankreich - ein 49 Jahre altes Auto in unrestauriertem Originalzustand auf einer 3-Tages-Tour durch unser Nachbarland auf der Fahrt von St. Martin in der Pfalz zur Partnerstadt Chassagne-Montrachet in Burgund.

Herbstzeit ist perfekt für diese Tour, denn Tageshitze sollte ausbleiben, nachts noch kein Frost, dafür schöne Laubverfärbungen entlang der Strecke. Außerdem kulinarisch der Beginn der Wildsaison … vergessen wir nicht: die französische Küche ist in den Rang des Weltkulturerbes erhoben!
 

 

Die Route

Stur über die Autobahn donnern ist weder etwas fürs Coupéchen noch wäre das im Sinne des Bereisens statt Berasens. Also „über Land“. In der Michelin-Karte (was sonst??) auf entweder roten oder „dick“ gelben Straßen, damit ein Kompromiß aus Fahrtzeit und Strecke erreicht wird. Man könnte sich tagelang auf dem Weg in Ab- und Umwegen verlieren, aber vier Fahrtage für 1.200 km sind kein Pappenstiel und Spaß soll’s ja auch machen.

Erste Etappe nach Nancy gelegt. Stadt des Jugendstils in einem Ausmaß, das Darmstadt und seine Mathildenhöhe erblassen läßt. Meine Meinung: „kann man so machen, sieht aber nicht immer gelungen aus“.  Einfache Route von Speyer über Lauterbourg und (als einziges Stück Autobahn) auf der A 35 bis Soufflenheim, ab dann quer nach Nancy. Sehr nette Unterkunft im Hotel des Prélats, dazu in der Brasserie Excelsior in Jugenstilambiente ein schmackhaftes Abendessen.

Jetzt wird’s ländlich-französisch im besten Sinne! Südwärts  erst nach Chaumont (Viadukt dort gesucht aber Besuch wegen „am anderen Ende der verstauten Stadt“ verworfen), dann strikt südwärts auf Dijon zu. Mittagsrast in Langres, welches für seinen Käse bekannt ist. Ein wunderhübsches Landstädtchen, das leider derzeit noch Spuren der darbenden Konjunktur zeigt. Viele kleine Geschäfte geschlossen, viele kleine Restaurants zu. Eins hat auf und verpflegt uns mit dem „Menu du Jour“ dreigängig für 13,00 € incl. Hirschgulasch. DAS zeige mir mal einer in Deutschland!

Ziel des Tages ist zum einen Chassagne-Montrachet, eine der Toplagen für Weißweine in Burgund. Natürlich werden auch solche Kreszenzen dem Coupéchen aufgebürdet, gleich ein Dutzend an der Zahl. Schluckt er alles, trotz filigranen Äußerens.

Höhepunkt der Reise die Übernachtung in Chagny, die „Maison Lameloise“ bewirtet und beherbergt uns. Wer dafür jemals Lust und Geld aufbringen kann und will: Tut es. Genießt den Komfort und Service eines angesehenen dreifach besternten Restaurants. Das ist wie der Besuch einer großen Oper, nur mit weniger Krach und viel mehr Geschmack. Dringende Empfehlung: nicht das Weinbuch der 1000 Verführungen konsultieren. Man sucht sich sonst einen Wein aus,  der einem selber gefällt. Ob der aber zum Essen, insbesondere den Kräutern und Würzungen der Gänge paßt, ist Glückssache. Wir waren rundherum bestens versorgt.

Zurück wie vorher wäre öd, also eine Rückfahrt übers Elsaß. Quer über Vésoul Richtung Gérardmer und dann am Ostrand der Vogesen bis nach Ottrott in das dortige Hotel „L’Ami Fritz“. Sehr schöne neue Zimmer, kulinarisch natürlich Klassen vom Vorherigen entfernt, aber sehr saubere Landküche mit allen elsässischen Spezialitäten. Dazu lokale Weine als Kontrast zu den burgundischen Kreszenzen am Vortag. Im Vergleich natürlich auch viel preiswerter!

Heimwärts Strasbourg östlich umfahren und über Saverne und Wissembourg zurück nach Speyer sind die insgesamt vier Tage mit drei Übernachtungen auch schon vorbei.
 

 

Das Fahren über Land

Eine Genußreise dieser Art läßt sich sehr gut in Frankreich organisieren. Die Straßen sind gut ausgebaut, der Verkehr ist teilweise sehr licht, bis auf zwei größere „agglomérations“ mit naturgemäß dichterem Verkehrsaufkommen ist alleine durch die Leere das Vorankommen erstaunlich zügig. Tempolimit 80 stört um so weniger je leistungsschwächer das Auto ist. Mit einem Sportwagen ist da nervend, im Zweifel ginge ja teilweise alles Legale im 1. Gang. Das ätzt und vergrätzt die Fahrfreude.

Wer sich damit aber anfreunden kann, lernt eine höchst entspannte Fahrt schätzen. Dazu keine Mautgebühren und eine unbezahlbare Möglichkeit, die landschaftliche Vielfalt schon auf diesem kurzen Stück zu verinnerlichen, die unsere Nachbarn zu bieten haben.

Es versteht sich: Navigation auf althergebrachte Weise, mit der Michelin-Karte auf den Knien der navigierenden besten Ehefrau von allen.
 

 

Das Coupéchen

Nicht jedes flache zweitürige Auto ist ein Sportwagen. Der Beweis steht hier mit 374 cm Länge, zarten 156 cm Breite auf der Straße. Der kleine Vierzylinder (1124 Kubik) schafft 53 PS bei 6000/min und ein Drehmoment von etwas mehr als 85 Nm bei 3000/min. Ein winziger Vergaser beatmet den Sauger, elektronisch ist an diesem Auto allenfalls die serienmäßige Zeituhr, die stolz „Transistor“ auf dem Zifferblatt vermerkt und nach 49 Jahren noch ganggenau die Zeit vermittelt.

Lenkradschaltung, vier auf langen Wegen mit wenig Kraft einzulegende Gänge, keine Mittelkonsole und Ablagen im Armaturenbrett, die mir schon für einen zweiwöchigen Herrentrip ausreichen würden, dazu plüschig-weiche Sitze für zwei (und ein kümmerliche Bank für Pygmäen hinten) und ein höchst brauchbare Kofferraum von knapp 300 l Volumen. Wein, Gepäck, Supermarkteinkauf auf dem Heimweg - alles geht locker rein und es wäre noch platz gewesen. Das Raumgefühl vorne ist unerwartet von lichter Weite und Großzügigkeit geprägt, selbst für mich mit 190 cm.

Die Rückenlehne hinten kann man umklappen, dann wird das Wägelchen zum Transporter und regelrechten Raumriesen. Die „modernen“ Autos ringen da mit armdicken Türen, Dachholmen wie Mauerscheiben und mancherlei „Komfortgimmicks“ um Gewicht und Platz auf unvergleichlich viel mehr Fahrzeuggrundfläche. Na gut - Sicherheitsgurte haben wir keine, Fahrhilfen im Auto auch nicht. Das einzige Safety-Feature ist der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung des Lenkers.
 

 

Und jetzt zur Überschrift.

Das Motörchen ist nominal für das leer schon 880 kg schwere Auto knapp an Leistung und Kraft. 20 s auf hundert aus dem Stand, Spitze 135. Toll!

 

Doch wirklich, toll!

 

Der Motor hat relativ viel Schwungmasse, weshalb er nicht ganz so leichtfüßig hochdreht. Dafür entwickelt er immer schön auf Zug gefahren ein nettes „Beharrungsvermögen“, das insgesamt sehr flottes Fahren in den gesetzlichen Limits (und ein kleines bisschen darüber) gestattet. Es ist nicht so leicht, die Fuhre immer so in Schwung zu halten, daß man alle Hindernisse und Anstiege mit eben diesem „Momentum“ schafft. Dann gucken die Umstehenden ganz groß, wenn das kleine Auto einem Motorrad paßaufwärts vorfährt und dabei in den Kurven sogar seinen Vorsprung ausbauen kann. Wer uns überholte, fuhr uns  nicht davon. In der nächsten engen Ortsdurchfahrt waren wir wieder dicht dran, denn: Schmal paßt immer, breit paßt nie!

So sehr das Fahrwerk mit vier (!!) McPherson-Federbeinen auch auf sanftestes Federn und Gleiten ausgerichtet ist, so fröhlich läßt sich damit auch ein schöner Strich auf Landstraßen fahren. In den langen Federwegen wiegt sich die Karosse, die Insassen sind bestens von Fahrbahnunbilden verschont und dennoch ist das Ganze ohne sportlichen Ehrgeiz sehr zügig zu bewegen. Holperige Straßen sind kein Traktionsproblem, sondern machen sich durch verändertes Abrollgeräusch bemerkbar. Das entspannt und macht im Vergleich zum knallahrten Sportgerät sogar flotter.

 

Wie früher als Student im 40 PS-Fiesta: Gas, bevor der Berg anfängt, runterschalten, bevor er langsamer wird und „immer das Momentum halten“. Vor Kurven wird nach der besten Linie gesucht, einen „Bremspunkt“ gibt es nicht, sondern nur die Frage, ob man ohne Gaswegnehmen zügig bleiben kann.

Das macht ungefährlich einen Höllenspaß!

Der alte ungeöffnete Motor will auf der Tour vielleicht 0,1 L Motoröl und etwas mehr als 6 L SuperPlus auf 100 km, das Vergnügen ist also auch noch preiswert zu haben.

Die weinseligen Pfälzer haben insgesamt 20 Partnerstädte in Frankreich, da gehen sich sicher noch ein paar Touren aus …

Markus

Und hier - da "nur noch" 6,35 MB an Fotos möglich sind - drei Eindrücke aus Nancy.

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Lieber Markus, was für eine wundervolle Reise mit einem wundervollen Auto!

Das 204 Coupé ist ein so herrlich feines, zierliches Auto und dermaßen gut geeignet für eine solche Reise, das Auto entschleunigt und gehört eigentlich bei großem Streß auf Rezept ärztlich verordnet...

Und ich weiß gut, wie es sich im Fond dieses Autos anfühlt, verbrachte ich doch größere Teile meiner Kindheit und Jugend auf der eher spartanischen Rückbank eines 304 Coupés in Silbergrau-Metallic mit cognacfarbenem Kunstleder-Interieur. Es war ein wunderbares, elegantes und besonderes Auto und ich beneide Dich sowohl um das Auto als auch um die Reise!

 

Danke für den schönen Bericht, Hugo.

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Sehr schön, ich liebe sowohl St. Martin und Umgebung (leider lange nicht mehr dagewesen) als auch die beschriebene Strecke.

Das neue 80 km/h-Limit auf französischen Landstraßen empfinde ich hingegen als unerträglich.

Ich würde sogar generelle Tempolimits auf Landstraßen komplett abschaffen (gab es auch ganz früher nicht), weil die ohnehin durch die Physik gesetzt werden.

 

Gruß

Markus

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