Jump to content
EUROPAS GROßE
SPORTWAGEN COMMUNITY

50 Jahre muß man erst mal werden - Triumph TR4


806

Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Ein Auto, dessen Wartungsheft nach 80.000 Kilometern abbricht, das mit blattgefederter Starrachse ohne Teleskopstoßdämpfer (stattdessen altmodische Hebeldämpfer) daherkommt – so was will sich doch keiner in die Garage stellen, oder?

Man kommt ins Grübeln, wenn dem sieben handgeschaltete Vorwärtsgänge, unbezahlbares Offenfahrvergnügen und urig-bollernde Geräuschkulisse gegenübergestellt werden.

Moderne Autos entsprechen diesen Kriterien nicht, selbst kontinentaleuropäische aller Nachkriegsjahrgänge fallen durch das Prüfschema. So was bauen nur Briten (Engländer, um genau zu sein). Zu seiner Geburt 1961 lautete die erste Werbeanzeige „the only sportscar that won ist first gold medal standing still“ wegen eines Designpreises für seine Michelotti-gezeichnete Karosserie. Die Rede ist von einem Triumph TR4.

post-83808-14435407515641_thumb.jpg

Anlaß ist, daß das zarte Wägelchen (es ist nur 146 cm breit), das in glänzendem Schwarz unseren Fuhrpark ergänzt, am 9. Oktober 2012 sein 50. Lebensjahr vollendete.

post-83808-14435407519817_thumb.jpg

post-83808-14435407567962_thumb.jpg

Angeblich (wer will das überprüfen?) sind wir erst die dritten Besitzer, sein langes Leben hat das „Brummerle“ in San Francisco zu mehr als 30 Jahren in den Händen seiner Erstkäuferin verbracht. In den späten 90ern des letzten Jahrhunderts war es lukrativ, in den USA gute Autos anzukaufen und dann in Deutschland auf den Markt zu bringen. So ging es auch ihm, einem Händler war er so ans Herz gewachsen, daß er ihn für sich selber behielt. 2002 wechselte er dann in unsere Hände.

Den damaligen Zustand hat er heute nicht mehr, nur der glänzend schwarze Lack und die vielen glänzenden Details stimmen noch.

post-83808-144354075241_thumb.jpg

Nahezu alles ist mittlerweile überholt und möglichst dabei verbessert, den peu à peu verabschiedete sich ein wesentliches Bauteil nach dem anderen. So bremst er mit überholten Sätteln und geschlitzten Scheiben vorne, er lüftet seinen Kühler elektrisch, sein Benzin pumpt eine Facet-Pumpe, den Strom stellt eine moderne Drehstromlichtmaschine bereit. Seine Zündung ist kontaktlos und vertraut auf kleine Chips statt großer Kondensatoren. Der Auspuff ist aus Edelstahl und der Werksform so präzise wie möglich nachgebaut, Getriebe (Overdrive nachgerüstet), Kupplung, Kardanwelle und Hinterachse sind überholt bzw. ausgetauscht. Die Stoßdämpfer hinten waren fällig und wurden durch „HD-Hebeldämpfer“ ersetzt. Die originalen Sitze waren eh nicht mehr drin – jetzt erlauben solche aus dem TR6 sogar das Verstellen der Rückenlehne. Das riesige Serienlenkrad ist gegen eines von MotoLita getauscht.

Schon der Händler hat den Motor überholt und ihm neue Mahle-Kolben gegönnt, uns ist zweimal der Zylinderkopf zu Schaden gekommen.

„Der Herr bewahre uns vor Schnee und Wind und vor Autos, die aus England sind!“

Na, inzwischen stimmt das nicht mehr. Seit Abschluß der Überholungen bedarf er einmal jährlich der Wartung und eines Ölwechsels. Ansonsten gilt: Choke ziehen, Zündung an, Benzindruck aufbauen lassen, starten – läuft!

Der Weg dorthin war steinig, gepflastert mit einer Vielzahl an Er“fahrungen“ mit Pseudo-Experten, Hinterhofwerkstätten, langem Grübeln über möglichen und sinnvollen Abhilfen und führte uns sowohl nach Schottland wie an die Loire, nach Burgund, kreuz und quer durch deutsche Lande, die Alpen und Italien. Im Moment streikt der dritte Tacho (die Nachbaudinger taugen keinen Schuß Pulver mehr), so daß ich die Gesamtfahrleistung seit Mai 2002 nur mit rund 85.000 km schätzen kann. In den letzten Jahren ist’s für ihn ruhiger geworden, wir nähern uns dem Mittel solcher Autos mit um die 3.000 p.a. an. Anfangs waren es durchaus auch 15.000 in einem Jahr – Schottland und Yorkshire sind schon ganz schön weit im Norden!

post-83808-14435407528307_thumb.jpg

Wie kommt man dazu, sich solche Touren und auch Torturen anzutun?

Ganz „dicht“ darf man nicht sein – das ist er ja auch nicht (Anschlüsse Verdeck-Seitenscheibe).

Das Faszinierende setzt sich neben dem Bewegen antiquierter Technik (servolose Einkreis(!!)bremsen, kraftraubende Zahnstangenlenkung, hart zu tretende Kupplung) mit den Herausforderungen an verständiges Fahren aus der Unmittelbarkeit der die Passagiere berührenden Umgebung, die hilfreiche Winzigkeit beim Fahren auf engen Landstraßen und der sympathischen Geräuschkulisse des niedrig drehenden Vierzylinders zusammen. Dazu paßt dann auch das durchaus auch heute noch anspornende Fahrverhalten mit erstaunlich gutem Federungskomfort, das intim-brauchbare Platzangebot innen und ein voll reisetauglicher Kofferraum. Für die Unzulänglichkeiten alternder Britentechnik muß man allerdings Verständnis aufbringen und viel Initiative bei der Suche nach Abhilfe an den Tag legen.

Unser Ziel war immer, die bestmögliche Langstreckentauglichkeit zu erhalten und zu verbessern, auf „Rundenzeiten“ legen wir keinen Wert; im Rahmen der Möglichkeiten sollte er flott zu bewegen sein.

post-83808-144354075326_thumb.jpg

Deshalb kam als große Verbesserung ein Overdrive dazu. CT 15476 L ist seine Fahrgestellnummer, da fehlt das „O“ am Ende, er hatte also nur vier Gänge. Als „Ami“ dazu eine kurze Hinterachse – da kommen auf der Autobahn schnell Drehzahlen jenseits des Guten zustande. 130 waren damals knappe 4000/min und dauerhaft ist für den uralten Motor (seine Wurzeln liegen in den 30ern) nicht gut. Der Overdrive (passend zum 2., 3. und 4. Gang schaltbar!) senkt die Drehzahlen um 20 %, so daß jetzt auch 140 als Dauertempo problemlos gehen. Eigentlich eine geniale Technik, die auch kupplungsloses Schalten ermöglicht. Bergauf im 2. „kurz“ oder „lang“ hat der linke Fuß Ruhe beispielsweise. Ein bißchen Gefühl für helfende Gasstöße vermeidet starke Rucke.

Die serienmäßigen SU H6-Vergaser sind auch rausgeflogen und durch HS6 ersetzt. Dann funktioniert die Chokenutzung auch, ohne daß der Düsenstock jedesmal verstellt ist und das Synchronisieren ist viel leichter durch verbesserte Gestänge zwischen den Vergasern.

Optimal eingestellt verbreiten sie einen ebenso typischen Abgasgeruch wie Webervergaser – was waren das für Zeiten, als man am Geruch die Autos erkennen konnte! Vergaser alter Schule richtig zu fahren, erfordert ein bißchen Sachverstand – ist aber beileibe kein Hexenwerk. Sinnig langsam mit der steigenden Drehzahl mehr Gas, Vollgas erst ab Drehzahl des maximalen Drehmoments und das Ganze wird richtig flüssig und erstaunlich schnell schneller. Der alte Bulle liefert nur 100 PS aus 2,2 Liter Hubraum, er zieht wie ein Diesel und will auch mit Dieseldrehzahlen betrieben werden. Langhuber mit passenden Vergasern sind schon eine Freude zu fahren! Dabei reichen dann um die 10 L/100 km – wo genau der Fortschritt aus 50 Jahren Autoentwicklung liegen soll, muß mir da einer nochmal langsam erklären …

post-83808-14435407537859_thumb.jpg

Irgendwelche Hyper-Umbauexperimente am Fahrwerk haben wir uns verkniffen. Die mittelalterliche Architektur mit Leiterrahmen, Blattfedern und Starrachse hinten, einfacher Querlenkerachse vorne ermöglicht bei richtiger Einstellung einen tadellosen Geradeauslauf und berechenbares Fahrverhalten. Klar, das ist nix Modernes, er keilt bei Lastwechseln in engem Geläuf hinten aus und wird in schnellen Kurven zum stoischen Untersteurer, aber für sein Alter ist das gut und mit Gewöhnung ist man erstaunlich fix unterwegs. Selbst der Fahrkomfort auf kurzen Stößen ist wirklich gut, lange Wellen dagegen mag er nicht so gerne.

Die Sitzposition ist heute vollkommen „out“, aufrecht, mit angewinkelten Armen das Lenkrad vor der Brust. Mit Gewöhnung ist das nicht so anstrengend wie’s klingt, erfordert aber Armschmalz beim Bedienen. Selbst Etappen von 1.000 km und mehr haben wir schmerzfrei überstanden.

Ob er noch ein echter Roadster ist, wird in Hardcore-Triumph-Kreisen bestritten. Deren Definition „zwei Türen, zwei Sitze, kein festes Dach, keine festen Seitenscheiben“ erfüllen nur TR2 und TR3.

post-83808-14435407542063_thumb.jpg

Unserer hat immerhin Kurbelscheiben in den Türen. Das Dach ist nicht fest dran (das hat erst der TR4A, den man deshalb auch als „Cabrio“ belächelt), sondern nur einen angeschraubten Spriegel. Die Dachhaut liegt lose im Kofferraum. Solange der Regen nicht allzu stark ist und man nicht stehen bleibt, ist’s innen ab 60 aber trocken. Wer uns also auf der Strecke den Vogel zeigt, wenn wir dennoch offen daherkommen, hat einfach keine Ahnung!

post-83808-14435407559939_thumb.jpg

(Das ist er nicht, sondern ein Modell 1:43, das ich sehr gelungen finde)

Vor wilden Breitreifenexperimenten schreckten wir zurück. Die Seriengröße 165/80 R 15 gibt es bei Hankook sogar mit modernem Profil (Optimo K 715), was Naßgriff und Aquaplaning deutlich verbessert. Alles „breiter“ ist was für die Eisdiele und schadet dem Fahrkomfort mehr als es dem Fahrverhalten nützt.

Wäre es nicht so unsäglich schwer, taugliche Ersatzteile aufzutreiben, die nicht selber nach ein paar tausend km wieder den Geist aufgeben, hätte ich nie nach einem ihm und seinem unvergleichlichen Fahrgefühl möglichst nahekommenden Ersatz gesucht. Den lieferte in 2009 Wiesmann – und ich bin nicht der einzige, der aus dem „Triumph-Lager“ dorthin wechselte.

„Ad multos annos, alter Bursche!“

post-83808-1443540756401_thumb.jpg

Markus

post-83808-14435407507057_thumb.jpg

post-83808-1443540751138_thumb.jpg

post-83808-14435407546433_thumb.jpg

post-83808-14435407550773_thumb.jpg

post-83808-14435407553838_thumb.jpg

post-83808-14435407556945_thumb.jpg

Jetzt registrieren, um Themenwerbung zu deaktivieren »
Geschrieben

Happy Birthday! 8-)

Vielen Dank für die "Berichterstattung", Markus.

Klasse Auto. :-))!

Geschrieben

Mensch, da wollte ich nur mal kurz schauen was sich hinter diesem Thread verbirgt, und habe ihn mit Begeisterung komplett gelesen. Sehr schön geschrieben, da kann man einfach nicht anders als weiter lesen :-))!

Sehr schöner TR4, den du mit liebe zum Detail verbessert hast.

Wünsche dir noch viele schöne Ausfahrten mit dem Roadster :wink:

Ach ja und Glückwunsch zum Geburtstag natürlich.

Gruß

Daniel

Geschrieben

Sehr schöne Geschichte, wunderschönes Auto - für meine Begriffe der schönste TR, schöner als Vorgänger und Nachfolger - da bleiben nur zwei Fragen:

Hat der Kleine nicht in der Garage manchmal Angst neben dem feuerspeienden, brüllenden Wiesmann mit den Riesenfüßen???

Und:

Warum als sportliches Alltagsauto den zugegebenermaßen schönen Holländer und kein umfassend überarbeiteter Triumph Stag mit Hardtop?

(Ok, die Antwort kann ich mir selber geben... O:-))

Englische Grüße, Hugo.

Geschrieben

Glückwunsch :wink:

schönes Auto, tolle Story :-))!

Gruß aus MUC

Michael

Geschrieben

Schön geschrieben :-))!

hier mein TR6 Bj. 69 mit Overdrive. Gekauft 1998 mit 130000km, war bis 1989 in Lousiana. Mitlerweile ist der kleine bei 260000km angekommen :-))!

Macht einfach riesig Spaß für kleines Geld. Langstrecke nach Italien hab ich mal mit 8,5l/100km geschafft.

Although Lucas is the master of darkness my TR runs excellently :)

post-65061-14435407618696_thumb.jpg

post-65061-14435407621802_thumb.jpg

Geschrieben

Danke für einen Bericht, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ bei der Vorstellung, heute an diesem schönen Föntag mit dem Triumph einen Alpenpass zu überqueren - und jetzt soll ich noch arbeiten? :-(((°:wink:

Wunderbare Geschichte, fabelhaftes Auto, herrlich geschrieben - ein Lesegenuß!

  • 5 Monate später...
Geschrieben

Servus Marcus,

habe erst jetzt deinen Bericht entdeckt und mit Genuß gelesen.

Nachträglich "Alles Gute" :wink2:

Gerade bei deiner Schilderung der Fahreindrücke bin ich froh, daß es ab nächster Woche TR-taugliches Wetter geben soll, dann geht's ENDLICH wieder los. Mein TR6 hatte letztes Jahr seinen 40.

Ich betreibe einen kleinen 16 Fahrzeuge starken TR-Stammtisch in Niederbayern. Falls es dich mal in die Gegend verschlägt, dann meld dich mal.

Allzeit gute Fahrt, GYnnY

Archiviert

Dieses Thema ist archiviert und für weitere Antworten gesperrt. Erstelle doch dein eigenes Thema im passenden Forum.


×
×
  • Neu erstellen...