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Eine Urlaubsbekanntschaft mit dem Jeep Wrangler - "gerne wieder"!


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Der Wunsch „Wenn schon USA-Reise, dann aber auch mit dem richtigen Auto“ stieß bei der Vermietstation in Boston am Internationalen Flughafen auf Verständnis, Abhilfe war aber schwierig. Nix wie in der Fernsehwerbung „take what You like, we’ve got them all“ – in Boston wird vor allem nach viertürigen Limousinen gefragt. Das sehr freundliche Personal bemüht sich eine knappe halbe Stunde und tut dann „a real american icon“ für uns auf:

Einen Jeep Wrangler Sport aus dem aktuellen Jahrgang 2012. Kurzer Radstand, der neue 3,6 Liter-24-Ventiler unter der Haube und die neue Fünfgangautomatik dazu. Silbern, Stoffsitze und Softtop. Sonst ein nackter Hund – aber die Aussicht auf stilechtes Backroaddriving und mögliche komplette Öffnung des Autos ist zu verlockend. Logisch will ich den, den Zuschlag von knappen 300 USD für zwölf Tage nehme ich gerne in Kauf.

Am ersten Tag regnet es ohne Unterlaß von Boston bis Portland in teilweise für Europäer ungewohnter Heftigkeit, also findet die Einfühlungsrunde auf dem Insterstate statt. In den folgenden Tagen wird das das selten besuchte Revier sein, zumeist treiben wir uns auf Highways und Nebenstraßen herum; Ortsdurchfahrten, Parkplatzsuche – alles, was man zum Kennenlernen und zur Beurteilung eines Autos tun sollte. Exakt 1786 Meilen sollten es werden.

Die technischen Daten nur kurz: Leergewicht knapp über 1800 kg, 285 PS-V6, Allradantrieb und Untersetzung zuschaltbar. Manuelle Klimaanlage, einfaches Radio. Bereifung 275/75R17. Rückbank umklappbar (und des Gepäcks wegen umgeklappt). Mit kurzem Radstand ein Viersitzer mit dann knappstem Kofferraum. Spitze? Nicht ausprobiert – wäre eh vorzeitig abgeregelt gewesen (wohl so um die 160 km/h). Verbrauch: Ruhig gefahren knapp über 9 L/100 km, engagierter ohne Raserei sind 15 L/100 nicht fern. Stadt wird noch teurer.

DAS interessiert aber eigentlich auch am wenigsten – bei Spritpreisen um die 3,60 USD/Gallone, was etwa 0,75 €/L entspricht, ist das eh wurscht.

Das allerauffallendste ist ein für Leihwagenfahrer völlig ungewohnter Effekt: Wranglerfahrer (nicht –fahrerinnen!) grüßen sich bei Begegnung durch freundliches Handheben. Landesweit. Immer.

Was macht ihn nun zu etwas so besonderem?

Sicher nicht der für mich gerade noch anständig schaffbare Einstieg in das hochbeinige Vehikel. „Hopp“ als Einstiegsaufforderung für meine nur 1,65 m kurze Frau ist wörtlich gemeint. Die Karosse sitzt so hoch über der Straße, daß sie nur reinhüpfen kann. Mit Rock wäre das schon anspruchsvolle Turnkunst gewesen. Drin ist auf den sehr bequemen und groß dimensionierten Vordersitzen bequemst Platz für uns beide. Rückenlehne leider nicht stufenlos verstellbar, ganz optimal komme ich nicht hinter dem nur höhenverstellbaren Lenkrad nicht unter. Eine mit ein paar Chromrippchen verschönerte Plastikwüste von angeblich verbesserter Qualität erwartet den Insassen. Hat alles einen Anfaßeindruck wie ein „Zweier Golf“, wenn auch komplett knister- und knasterfrei zusammengebaut. Armaturen mit den üblichen Anzeigen für Tempo, Drehzahl, Temperatur und Tank. Alles gut erreichbar, Knöpfe teilweise für „Oversizedwurstfinger“ ausgelegt. Mit der Tradition der Marke wird nur insoweit gespielt, als auf dem Beifahrerhaltegriff „Jeep – since 1941“ eingeprägt steht und innen Türhaltebänder offen vor den nur überlackierten Karosserieversiegelungen und Schweißnähten herumhängen.

Bei umgeklappter Rückbank steht die zwar lästig hoch im Raume, aber ein für unser Gepäck mehr als ausreichender Stauraum wird frei. Ladekante für mich ideal, für sie zu hoch, Zugang völlig eben. Hecktür mit Reserverad dran öffnet komischerweise Richtung Bordstein wie beim Toyota RAV4? Riesiges Tor, für das hinter dem kurzen Wagen auf den Amiparkplätzen immer genug Raum bleibt. Bei geschlossenem Dach ist dafür nur ein etwa 45 cm hoher Schlitz zu öffnen, die Heckscheibe bleibt, wo sie ist. Schlangenmenschen werden bevorzugt, wenn man was von hinten vorkramen muß.

Das war’s irgendwie noch nicht so richtig, damit kann man zwar gut leben, aber für das Image des Wagens sind das sicher nicht die Hauptpunkte.

Ist es der Motor? Wohl kaum, denn der ist erst seit diesem Modelljahr drin. Spontaner Starter, sehr schnell erwärmt. Leerlauf nicht ganz vibrationsarm wie bei BMWs oder Benzens, das wird aber sicher an den Motorlagern liegen, die ja für Geländeeinsatz etwas härter ausgelegt sein sollten. Roter Bereich ab 6400/min, Kraft ab etwa 2000/min spürbar, zweiter Wind ab 4000/min bei dann auch deutlich heiserer Aussprache. Angeblich 6,7 s für 0-92 km/h, also wohl knappe 8 auf Hundert.

Bei anfangs vollautomatischer Fahrweise (Getriebe in D und gut ist) entsteht der Eindruck von kräftigen 100 PS, keinesfalls aber von 285 Pferden. Wo sind die denn?? Erdrosselt von einer ellenlangen Automatik mit extrem frühen Hochschaltpunkten drömelt man auf diese Art mit allzumeist deutlich unter 2000/min im kraftlosen Bereich der Maschine herum. Die Steuerung der Automatik ist so erbarmungslos „green“ abgestimmt, daß selbst bei 1000/min im 4. Gang bei sanfterer Beschleunigung nicht heruntergeschaltet sondern elendig brummend nach Drehmoment gesucht wird.

So wird das nichts, so werden wir keine Freunde! Also kommt eine einfache Regel zum Tragen: Wenn’s nicht schneller als 30 mph werden soll: Nur die ersten beiden Gänge. Bis 60 mph: die ersten drei, bis 70 darf bei ebener Strecke der vierte dazu und nur bei schnellerer Fahrt kommt der 5. zum Einsatz. Dann orgelt man immer noch nicht im Saftbereich, sondern liegt bei max. 2500/min und am zarten Anfang der Leistungsentfaltung. Wenn’s beim Überholen unamerikanisch-flott werden soll, muß der zweite erstmal bis 5500/min Tempo aufbauen, dann darf der dritte mitmischen. Ab 4000/min kommt dann richtig Fahrt auf, der Motor zieht die schwere Fuhre willig und immer schneller schneller werdend sehr imposant an. Auf die Art werden Überholvorgänge im Bereich „35 auf 70 mph“ zum Kinderspiel.

Lustig ist’s, den Wagen auf bergigerer Landstraße auf „50 mph“ einzustellen und „D“ zu fahren. Am Fuße des Anstiegs knappe 1500/min. Reicht nicht. Vierten her – 2000/min. Vorher schon zu viel Tempo verloren, Tempomat gibt mehr Gas. Vierter auch zu knapp. Besinnung (kann auch durchaus ein Sekündchen dauern), daß der Fahrer wohl auf CO2-Reduktion nicht aus ist. Ruck – dritter übersprungen, zweiter rein. Jetzt viel zu viel Beschleunigung, schroffes Gaswegnehmen mit sofortigem Hochschalten bis in 5 und das Spiel kann von vorne beginnen. Bockmist!

Das war’s also wohl auch nicht – ist j auch ein Geländewagen mit Hill-Descent-Control und Untersetzung, kein Highwaycruiser. Abhilfe nur mit fleißigem Gängesperren möglich und damit fast handschaltergleichem Aufwand. An sich aber ein leistungsfähiger Motor, dem nur etwas Drehmoment untenrum fehlt; eine geschickter und kürzer gewählte Übersetzung hülfe hier.

Die teilweise unterirdisch schlechten Straßenverhältnisse im Hinterland bringen seine erste Qualität zum Vorschein: Robust und unbeeindruckt nimmt er Schlaglöcher aller Größe, Fahrbahnverwerfungen, tiefe Pfützen (!! Auf Landstraßen !!) mit durchaus beachtlichem Federungskomfort. Der kommt zu einem Gutteil aus den Reifen mit gigantischen Schultern und den komfortablen Sitzen – insofern strengt Langstrecke kein bißchen an. Sänfte will er nicht sein, uriges Raubein ist er aber auch nicht (mehr).

Zuversicht wächst, Mut nimmt zu und Polizeidichte ab. Was geht denn so, wenn es soll? Erstaunlich viel! Auf Zug gefahren bleibt er in Kurven auch mit ungeschicktem Verlauf sehr lange neutral, Lastwechsel machen ihm nichts, die Seitenneigung wirkt nur der hohen Sitzposition wegen stärker, ist es aber objektiv nicht. Keine Weicheierschaukel, sondern ein solider und sehr verläßlicher Partner. Vermeintlich flott gefahrene GTIs sind schwer beeindruckt, wenn er in Kurven ohne Quietschen auf den dicken Socken entschwindet. Wo 35 dran steht, gehen locker 65 und das ESP schweigt. Aha – ein erster Hinweis auf seine Qualitäten.

Die Lenkung ist zwar aus der Mittellage etwas zu langsam ansprechend (das ist wohl dem Geradeauslauf auf dem Interstate geschuldet), aber ihr Kraftaufbau ist gleichmäßig und die Rückmeldung für die ungeschickt hochschultrigen Reifen gut. Dazu ein lächerlich kleiner Wendekreis, was vor allem in der Stadt und beim Wenden auf Landstraßen extrem hilft. Aha – ein zweiter Hinweis auf seine Qualitäten.

Unamerikanisch fest, mit gutem Druckpunkt, sehr angenehmem Bremskraftaufbau und sehr gutem Gefühl die Bremse. Trotz der Schwabbelgummireifen gute Bremswirkung, auch Belastung steckt die Anlage gut weg; immerhin sind mit uns und Gepäck ja zwei Tonnen unterwegs. Aus sehr hohem Tempo (mehr als 85 mph) faßt die Anlage sehr gut kontrollierbar fest hin, da schadet dann aber die Kombination aus kurzem Radstand, hohem Schwerpunkt und zumeist schlechten Straßen; Schlingern kann beim Anbremsen auftauchen, muß aber keine Sorgen machen. Aha – noch eine Qualität!

Beeindruckend die Leistungen auf unbefestigter Wegstrecke. Allrad kriegt man auf festgefahrenem Schotter nur mit Vollgas zum kurzen Durchdrehen, ansonsten geht er ab wie auf der Straße. Geregelt wird da nix, das ESP schweigt (ist aber aktiv). Mit der Untersetzung fährt er im Leerlauf so langsam, daß man ihn alleine losfahren lassen kann, beim Nebenherlaufen eine Zigarette anzündet und dann gemütlich einsteigen (-hüpfen) kann. Keine Sorge – meine Frau hielt das Lenkrad auf Kurs und der Waldweg war leer. Geschätztes Mindesttempo: 1 mph bei 650/min. Die Bergabfahrhilfe hält ihn dann auch brutal auf diesem Tempo – deutlich fühlbar einzeln jedes Rad ggf. abbremsend. Richtig probieren konnte ich’s nicht und wollte das auch nicht – schließlich ist’s nicht versichert beim Mietwagen und man weiß ja nie …

Zurück zum Regenwetter: Normalerweise verabscheue ich hochbeinige Geländewagen. Selbst auf dem Interstate ist das Fahren aber um Klassen leichter als in einem Sportwagen: Extrem hohe Sitzposition verhindert allzuviel Schwallwasser, auf der planen Frontscheibe liegen die Wischer gut an und irgendwie spendet der Wrangler Vertrauen. Ob das andere Geländeoschis auch so tun, weiß ich nicht; bestimmt tun sie das, aber Regen in einem Wrangler hat irgendwie etwas von einer archaischen Auseinandersetzung mit Naturgewalten, es ist laut, zischt und platscht und unbeirrt zieht er seine Bahn.

Das tut er übrigens innerorts auch sehr gut – extremst kurz (knapp über 4 m lang), extremst wendig und selbst mit Softtop geschlossen tiptop übersichtlich – das ist sicher auch ein Pluspunkt seiner antiquierten Form.

DIE ist es natürlich – unverkennbar, eindeutig, charakteristisch wie kein Zweiter. Eine echte amerikanische Ikone, die ich nahtlos im Imageranking in eine Reihe mit Mustang, Camaro und Corvette stellen würde. Hier kommt nur der „Geschmack von Freiheit und Abenteuer“ dazu, den der Wrangler transportiert. Als Softtop unschlagbar offen und von anspruchsvoller Aufbauarbeit beim Wiederverschließen. Spontane Manöver gibt es nicht, das Softtop erfordert alleine selbst bei zügig-routiniertem Vorgehen schon gute fünf Minuten: Hauptverdeck über den gepolsterten Überrollbügel mit dem Hilfsbügel ziehen, vorne über den Türen an den ersten Haltepunkten einrasten. Heckscheibe schließen (schwergängiger Reißverschluß, der schier nicht um die oberen Ecken kommt). Heckscheibenrahmen und hintere „Pfosten“ an der Karosserie einklemmen. Seitenfenster mit Reißverschluß und Klemmleiste rechts und links einsetzen. Vordere Arretierung am Windschutzscheibenrahmen vorklappen und schließen – so in etwa sind die Arbeitsschritte.

Offen unschlagbarer Fahrgenuß: Steile Frontscheibe, offen rundum bis auf die Türumrandung, vertrauenerweckender Überrollbügel, erstaunlich wenig (aber natürlich deutlich) Wind im Häuschen – wer was fürs Offenfahren übrig hat, sollte einen Wrangler so gefahren haben!

Wie bei einem solchen Ami nicht anders zu erwarten: Manche Details sind vergleichsweise primitiv und sicher wenig haltbar ausgeführt. Den Haubenschließen vorne (Markenzeichen!!) gebe ich keine 50.000 Meilen bis sie hin sind, im Spritzbereich vorne liegen ungeschützte Steckverbindungen, die Motorhaubenhalterung ist auf Yugo-Niveau ausgeführt. Der Außenkunststoff (reichlich!) ist von minderer Qualität, an älteren Geschwistern kann man die Sonnenempfindlichkeit und damit verbundene Alterung sehen. Manche Dinge sind aber wiederum liebevoll gemacht: komplett auch mit Klarlack auslackierter Motorraum, Leitungen alle gegen Schrammschäden geschützt (auch wenn da niemals etwas schrammen wird, z.B. innen auf Höhe Zylinderkopf).

Und damit ist eines meiner Highlights aus diesem Urlaub schon erfaßt: Ein technisch bis auf die amerikanisch-mißratene Getriebe-/Motorabstimmung mehr als solide gemachter und bestens alltagstauglicher Imageträger von vielseitiger Verwendbarkeit, dem man Großserienschwächen in der Materialwahl bei Gefallen einfach nachsehen muß.

In USA ab 24.000 USD plus Tax (abzüglich Rabatte) ab Lager erhältlich – ich habe mich nur schweren Herzens von ihm getrennt!

Markus

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Geschrieben

Sehr schöner Reisebericht!

Aber als alter Jeepfahrer bin ich da vorbelastet, im Gegensatz zu 99,99% der anderen Carpassionuser O:-)

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