Carpassion mal anders - Laster kann man haben, aber auch fahren!

[806 CO]

Jetzt spinnt er ganz, was? - Ruhig Blut! Die Zulassungsvorschriften und die Anforderungen an Schadstoffminderung im Abgas bringen Kuriositäten hervor. So diesen 3.6445 mm langen LKW, um den’s hier gehen soll. Leergewicht 1165 kg, Zuladung satte 270 kg (nach EU - nach DIN 345). Aber Starrachsen vorne und hinten, zuschaltbarer Allradantrieb mit Untersetzungsgetriebe, also „serious stuff“. Dazu ein echter Leiterrahmen mit aufgeschraubter Karosse - großzügig dimensioniert, solide schon beim Ansehen.

 

Und ein derart niedlich guckendes Gesicht in der Menge, daß schon im Stand alle Leidenschaft ihm zufliegen will, dem Suzuki Jimny.

 

 

Frühstücken wir die hard facts vorweg ab: 102 PS bei 6000/min aus einem 1,5 L-Vierzylinder-Saugmotor mit 130 Nm maximalem (!) Drehmoment bei 4000/min hören sich nach  brachialem Fahrspaß an, die kastige Karosse verspricht mal wieder richtig sowas wie Luftwiderstand und nicht -schlüpfrigkeit (wer noch liest da immer Schlüpfrigkeit stattdessen?), Reifen im sagenhaften Hochformat von 195/80-15 versprechen Seitenführungskräfte auf Kutschenniveau. Immerhin ist eine Armada an sinnlosen Helferlein an Bord, von blinder Verkehrszeichenerkennung über Müdigkeitswarner bis hin zum Brems- und Spurhalteassistenten. Bei dem Preis von um die 30 k€ verspricht das einen heiteren Reigen von Fehlinformationen und diese Erwartung wird nicht enttäuscht. Immerhin kann man die nervigsten Assis dauerhaft abschalten, was leider im Instrumentenkasten mit dauerhaft gelber Warnleuchte sanktioniert wird.

 

Heizen tut er sehr gut. Lüften tat er erst gar nicht - „das ist der Preis, den man für die einfache Konstruktion zahlen muß“, dachte ich. Nur Fenster auf half, sonst wurde es schnell stickig. Klima an - neue Wettermeldung „kalt und stickig“ stimmt nicht froh. Den riesigen Hebel unter der Klimasteuerung habe ich erst später entdeckt und die Außenluftzufuhr mit deutlichem Klappengeräusch geöffnet. Nix Stellmotor -Seilzug!

 

Wie kann das Wägelchen ein LKW sein? Lücken im Zulassungsrecht machen’s möglich. Es geht um das Verhältnis von Passagier- zu Laderaum. Nichts anderes. Das kostet den ursprünglichen Jimny seine (unbrauchbar enge) Rückbank und beschert ihm eine fixe Laderaumtrennung mittels Gitter. An sich ist das ohne Nachteil, wäre da nicht die Einschränkung der Sitzverstellung vorne. Je weiter man nach hinten muß - und das muß man eigentlich immer ab 180 cm Menschenlänge -, desto eher sitzt man aufrecht wie Pfarrer Assmann. Innenbreite ist sehr gut brauchbar, wenn auch die senkrechten Türen manchmal etwas zu nah sind.

 

 

Kann man lustig finden, ist es aber nicht. Obwohl die erstaunlich gescheit gepolsterten Sitze im Format etwa eines komfortablen Küchenstuhls diese Tortur erträglich machen, wenigstens für zwei, drei Stunden am Stück. Gänzlich unerträglich ist der nicht verstellbare Gurtumlenkpunkt. An langen Figuren führt er das Band derart zu tief an die Schulter, daß es unangenehm drückt. Kenne ich vom Wiesmann, Abhilfe wäre ein Polster, das man ums Gurtband anlegt.

 

Schleicht man ums Gefährt, ergeben sich sehr angenehme Detaillösungen und sehr saubere Passungen innen wie außen. Nix klappert, nix sitzt schief, alles ist bis in die letzte Ecke pieksauber mit schöner Lackfarbe und Klarlack überzogen, selbst der Rahmen ist lackiert. Das habe ich bei sündteuren Nobelhypersportwagen schon unglaublich viel schlechter gesehen.

 

 

Die Kunststoffe außen werden sicher viel Pflege erfordern, sollen sie dauerhaft in dem schönen Kontrastschwarz bleiben und nicht gräulich verschießen.

 

 

Türverkleidungen aus einem Stück gefertigt (einschließlich des Ablagefachs) sind sicher kein Design-Highlight, aber dafür klappert nix und sauber isses mit einem Wisch.

 

Laderaum kann kaum kubischer sein, rund 1.000 Liter lassen sich kastig verstauen. Ladungssicherung müßte man nachrüsten, sonst rutscht alles geräuschvoll haltlos herum.

 

Das klebrige Kunststofflenkrad ist höhenverstellbar, was wenig sinnvoll ist, da man nur in höchster Position wirklich vernünftig sitzt und dran kommt. Die paar Hebel und Schalter erreicht man leicht, alles ist bediensicher und nach japanischem Standard.

 

 

Na gut, das Zündschloß hat seine Besonderheit, wie sie früher „beim Japaner“ üblich war. Eilig das Wägelchen in der Tiefgarage abgestellt, Motor aus, Zündschlüssel raus ... wenn er denn nur raus ginge. Drehen, vor, zurück, Anschreien ... nix. Steckt wie dauerhaft so gedacht. Türe auf oder zu - Schlüssel steckt. Fuß auf der Bremse bewirkt auch nix. Schlüssel steckt. Kein Handyempfang in der Tiefgarage, also mit schlechtem Gewissen und Einkaufstasche überm Lenkrad zum Termin. Da kam dann zusammenhanglos die Erleuchtung: Zum Abziehen muß man ihn in Endstellung EINDRÜCKEN, damit man ihn RAUSZIEHEN kann. Dumpf gewußt habe ich’s, nur fehlte der Zugriffsreiz im Hirne.

 

„Der ist neu, der muß eingefahren werden, willst Du das nicht machen?“ - so frug der Besitzer. Na klar will ich das. Also den kleinen Vierzylinder über runde 300 km ans Laufen gewöhnt.  Das kann er jetzt, und zwar überraschend gut.

Beim Anfahren entweder langsam ohne Gas einkuppeln oder dem schwächlichen Drehmoment mit einem Gasstoß aufhelfen - es geht unerwartet zügig zur Sache. Sehr exakt und knochentrocken schaltbares Getriebe, dessen bedienkräfte deutlich aber nicht lästig sind. Fein abgestuft, so daß die Muskelschwäche des Motors durch leicht erreichbare mittlere bis gehobene Drehzahlen kompensiert wird. Ab 2500/min und bis 5000/min sehe ich den sweet spot aus Kraft, Krach und Tempo. Auch bergauf geht’s im Pfälzischen Bergland behende, die Zeitreise in die 80iger ist unbezahlbarer Fahrspaß im legalen Limit. Bergauf und bergab grinste es sich gut im grauen Laster!

 

Die sonstige technische Ausrüstung ist jetzt nicht der Kracher für G-Kräfte, wirklich nicht. Die 195er mit Riesenschultern sehen staksig-dünn aus mit heutigen Augen gesehen, sie haben schnell keine Seitenführungskraft mehr und das rigide ESP greift unerwartet früh mäßigend ein. In Kurven auf der Bremse einlenken ist kontraindiziert, das führt nur zu Gerutsche. Die mit recht sanftem Pedalgefühl arbeitende Bremse ist sicher nicht überfordert vom Gewicht, aber die Reifen ... mögen beim Halten nicht optimal halten. Womöglich täte ein Markenwechsel hier gut?

 

 

Vorher passendes Tempo, passenden Gang, mit Schleppgas rein und mit Zug ab Scheitel raus - wie früher halt. Dann ist das erstaunlich flott, wenn man mit der undeutlichen Lenkung seinen Frieden gemacht hat. Sie ist sehr leichtgängig und spielfrei. Aber Bereifung und Geländeeignung erfordern Lenkwinkel, die ebenfalls gestrig sind. Das darf man nicht mit zu festem Griff ausgleichen, sondern führt mit weiten Bewegungen und leichter Hand und erschrickt nicht, wenn das alles sich mehr wie eine Schlittenfahrt als sportliche Exaktheit anfühlt. Was genau die Vorderräder anstellen, wird eher durch Gewöhnung an diese Eigenart als durch Rückmeldung im Lenkrad vermittelt.

Abrollen tut er - bei niedrigem Tempo dank sanfter und riesiger Reifenschultern sogar ordentlich. Allzu schroff dürfen die Kanten nicht sein, sonst schadet die Starrbeachsung vorne wie hinten. Mit nur 2245 mm Radstand darf man bei schnellerer fahrt  und welliger Fahrbahn nichts erwarten, das Stuckern ist aber hinnehmbar. Die Fahrwerksjungs bei Suzuki haben einen vernünftigen Kompromiß aus ruhig gehaltenem Aufbau dank passabler Dämpfung und noch tolerierbarem Ansprechen gefunden. „ist ein LKW, was denkste Du denn?“

Geräusche innen sind überraschend gering. Wind? Hört man selbst bei höherem Tempo so gut wie nicht. Motor? Summt ohne jede störende Brummfrequenz. Ausstattung schweigt, nix knarzt. Einzig das umfangreiche Antriebsvolk mag nicht recht schweigen. Es schabt bei Schiebebetrieb, es vibriert bei zu niedriger Drehzahl und zu hoher Last und tut Unwillen kund. Im Allradmodus lassen die Lastwechselschwingungen etwas nach, sonst hat man das Gefühl, der Bonanza-Effekt aus dem frühen W124er Benz ist wieder da. Wie damals: Mit so wenig Lastwechsel wie möglich schalten und alles wird flüssig, ein kleiner Zwischengasstoß besänftigt die schwingwillige Lagerung des Antriebbstrangs. In Geländeuntersetzung tönt es besorgniserregend ausm Untergeschoß, die braucht man eh nur für die Gänge 1-3 und Tempi bis max. 30 km/h wirklich. Im 1. sind’s bei 1000/min 3 km/h. Man ist zu Fuß in der Ebene schneller und könnte neben dem Auto mit der Hand am Lenker rangieren. Apropos: Natürlich ist er übersichtlich wie kein anderer und gängig wie ein Kleinstwagen.

 

Autobahn wirkt wie sein Endgegner, eine ordentliche Stirnfläche von sicher 2,2 qm (Höhe und Breite um je 1,7 m), dazu allerorten aerodynamische Sündenfälle wie senkrechte Scheiben, riesige Außenspiegel (mit perfekter Sicht!), vorstehende Wischer, zerklüfteter Unterboden versprechen Qual ohne Leistung.

 

 

So falsch kann man liegen! Angegeben ist er mit 145 km/h Topspeed. Theoretische Überlegungen also verifiziert? Ich zitiere unseren derzeitigen Regierungs“chef“: „Nö.“

 

Auf Drehzahl halten auch beim Wiederbeschleunigen, feine Anschlüsse im höheren Gang, willig oben heraus arbeitendes Maschinchen und auf einmal stehen 160 km/h auf dem Tacho. Jesses, geht der vor! Flugs mit GoogleMaps und Navitacho geprüft: 154 km/h in echt und noch Luft unterm Gaspedal. Der jungen Maschine wegen nur ein kurzes Experiment, das auch keine  riesigen Anlauf erfordert. Dazu „oben“ gute Elastizität, Anzug aus Tacho 120 zum flotteren Überholen bis Tacho 140 ist überraschend gut, ein Verkehrshindernis ist man damit nicht.

 

Er hat sogar eine Momentanverbrauchsanzeige. Wie der 5er in 1990 ... Oldschool selbst hier. Bei 120 pendelt sie um geschätzt 8 L/100 km. WLTP sagt „7,7 L/100 km“. Ich habe ihn wirklich sinnig-beherzt eingefahren und kam auf 7,5 L/100 km nachgerechnet nach Volltanken. der Tankstutzen ist noch ein echter, das hat schon was agrarisches, die Zapfpistole drin zu versenken.

Anspruchsvoll im Unterhalt ist er nicht. Laut Betriebsanleitung mag er Öle von 0W16 bis 20W40 und Sprit mit mehr oder weniger E ist ihm gleich. Ist halt für weltweiten Einsatz gedacht und nicht als Boulevard-Bijou. Im Motorraum kommt man an alles selber dran - so gehört das nicht nur hier!

Urtümlich, blitzsauber gebaut, ursympathisch anzusehen und verständig bewegt ein Kniefall vor den längst vergangen geglaubten Zeiten einfachen und reuelosen Spaßes beim Fahren. Die strukturellen Nachteile wiegen bei der zuneigung zum Gefährt nicht schwer, „man gewöhnt sich an allem“.

 

 

Nur der drückende Gurt nervt wirklich. dauernd. Jedes Mal. Ich täte ihm noch eine Unterbodenkonservierung spendieren, die Anbauteile sind alle ungeschützt und da droht sonst korrosives Ungemach. Schön, daß es sowas noch gibt!

Markus

 

Habe fertig:

 

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Hallo 806,

 

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Wir haben den Vorgänger seit  10 Jahren.

Gibt keinen Grund zu wechseln.

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[MaxF CO]

Grossartig, danke für den Bericht! Für mich optisch eines der gelungensten aktuellen Fahrzeuge auf dem Markt. Schön zu lesen, dass er technisch nicht enttäuscht.

 

  

[emuman]

Ein sehr bunter Fahrbericht. Zu den Sitzen fällt mir meine Mitfahrt im SJ-413 als 10 jähriger Bursche ein, ist also schon ein paar Monde her. Ich bin früher in den Ferien immer mit meinem Onkel mit ins Gelände gefahren, hieß eine Woche auf einem Truppenübungsplatz, wo sich der ganze Verein mit Toyota FJ40, Pajero, Lada Niva und Suzuki ausgetobt hat. Auf dem Rückweg wollte ich einmal mit der Suzuki mitfahren. Ich bin nach drei Stunden Fahrt auf den Camping-Stühlen ausgestiegen und habe mich mit meinen 10 Jahren gefühlt wie ein 70-jähriger.

[Thorsten0815 VIP CO]

@806 Vielen Dank für den sehr unterhaltsamen und informativen Bericht. 

 

Eine Sache verstehe ich aber noch nicht. Klar ist das ein vielseitig nutzbarer Weggefährte. Vermutlich brauchst Du die grosse Ladefläche für irgendetwas. Beruf oder Hoby?

 

Was ist eigentlich der Vorteil einer LKW-Zulassung in Deutschland? Geringere KFZ-Steuer? Versicherung? Umweltzonen /-plaketten? Lohnt sich das wirklich im Paket?

 

Muss das ein LKW mit der Ladefläche sein, oder kann es auch als PKW zugelassen werden?

Braucht man nun einen LKW Führerschein?  

[806 CO]

@Thorsten0815 Sind aber viele Fragen ... 🫡

Er gehört mir nicht, sondern der Firma eines Nachbarn. Dort soll er als Dienstfahrzeug der Hausmeister eingesetzt werden. Im übrigen gilt für die kubische Lademöglichkeit: Haben ist besser als brauchen!

Hier geht es nicht um Vorteile der Zulassung als LKW, sondern die Zulassungsfähigkeit überhaupt. Als PKW-Neuwagen (wie bis 2023) dürfte er nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Sonst ist vor allem bei saufenden Amis mit horrenden WLTP-Werten die LKW-Zulassung viel günstiger. Die werden sogar teilweise extra "aufgelastet", damit sie sicher auch als LKW zu versichern sind.

Apropos: der Jimny ist versicherungstechnisch ein PKW, er hat Typklassen.

Auf Ladefläche alleine kommt es nicht an, sondern auf "mehr als die Hälfte ist für Ladung und nur für Ladung nutzbar". wie gesagt: Als PKW verboten, als LKW (noch) erlaubt.

Die Führerscheinfrage (Fahrerlaubnis wäre ja etwas weniger historisierend ...) ist aber nicht ernst gemeint, oder?🤔 Die erforderliche Fahrerlaubnis hängt ausschließlich vom zulässigen Gesamtgewicht ab, nichts anderem  (Sondertransportlizenzen wie Gefahrgut usw. mal außen vor). sonst wäre ein Wohnmobil mit mehr als 3,5 t doch unproblematisch - ist ja kein "Laster", obwohl's ein Laster ist, sowas zu fahren. Oder eine leer 3 t schwere G-Klasse "in elektrisch" ...

Markus

[Driver A.J. CO]

vor 23 Stunden schrieb 806:

Ich täte ihm noch eine Unterbodenkonservierung spendieren, die Anbauteile sind alle ungeschützt und da droht sonst korrosives Ungemach.

Und den Rahmen von innen hohlraumversiegeln. Die gammeln gerne durch, besonders die Querrohre! Glaubt man nicht, bis man das, das erstemal gesehen hat.

[Thorsten0815 VIP CO]

vor 2 Stunden schrieb 806:

Hier geht es nicht um Vorteile der Zulassung als LKW, sondern die Zulassungsfähigkeit überhaupt

Ah, deswegen. Merci. 

[master_p]

Toller Bericht, ich habe herzlich gelacht. Der Jimny hat aber genau ein Manko - für Nicht-Besitzer: Er ist so beliebt, dass die Gebrauchtwagenpreise unheimlich stabil sind und das wird sich erst recht nicht ändern, wenn die Produktion eingestellt ist.

[Il Grigio CO]

Halt ein Old-School-Geländewagen, aus der Zeit gefallen, also man noch nicht mit SUVs zur Oper fuhr. Ein Nutzfahrzeug im besten Sinn. 

 

Auch hier gilt die Weisheit des Konfuzius: Die Stoßstange ist aller Laster Anfang.  

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