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Auto-Österreicher: Hall of Fame (Zeitungsartikel)


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Ich wollte den Geschichtsinteressierten diesen Artikel aus der österreichischen Zeitung "die Presse" nicht vorenthalten:

Einzelkämpfer, Seilschaften und ein akademisches Netzwerk: Die großen Auto-Österreicher.

Der berühmteste Autokonstrukteur der Welt ist Österreicher, das ist schon ganz gut für den Anfang. Diese Ehre ist zugleich ein nützliches Beispiel für die wechselhafte Heimatkunde bei Verdiensten und Patenten. Die Österreicher-Story in den 125 Jahren Automobil wäre ganz flauschig international, vorauseilend global, hätten Politik und Nationalismus es zugelassen. So aber empfiehlt sich das behut*same Händchen.

Also das Porsche-Beispiel. In der gängigen Mehrheitsrechnung nach „Hall-of-Fame“-Awards und lexikalischen Verkürzungen wird Ferdinand Porsche weltweit als Größter seines Metiers gehandelt. Er ist in der Donaumonarchie auf heute tschechischem Gebiet geboren, hat seine erste freie Entscheidung, ob er Österreicher oder Tscheche werden wolle, mit der Bitte um den tschechoslowakischen Pass beantwortet. Siebzehn Jahre später wurde er von Hitler in einem persönlichen Schreiben aufgefordert, ein Formular für die ihm nachgeworfene reichsdeutsche Staatsbürgerschaft auszufüllen, sonst wäre es peinlich geworden für das Volkswagen-Projekt.

Trotzdem war Porsche ein höchst österreichischer Mensch, in seinem Wesen, von seiner Sprachfärbung bis zur Sprechstunde beim Doktor Freud (wirklich!). Seine beiden Kinder waren es genauso, obwohl Ferry letztlich in Deutschland blieb und seine Sportwagenfirma in Stuttgart und leider nicht in Wiener Neustadt ansiedelte. Dafür hat seine Schwester Louise Piëch ein Übermaß an Österreich-Investition betrieben, zwar für die eigene Wirtschaftlichkeit, aber dann doch zum großen Nutzen eines internationalen Auto-Netzwerks mit tiefer Verankerung in Österreich.

In der Chronologie haben wir eine kleine Formkrise zu Beginn. Otto, Maybach, Daimler, Benz und Diesel brachten Deutschland erfindungsmäßig 5:0 in Führung, bevor wir in Ruhe das erste Pferd ausgespannt hatten. Wenn wir jetzt die Siegfried-Marcus-Karte ziehen, wollen wir uns daran erinnern, dass Marcus noch sehr viel deutscher war als die fünf Vorgenannten, ehemals Mecklenburg nämlich. Immerhin, Wiens genius loci beflügelte Marcus in den 60er- bis 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts zu Etappensiegen in der Vorbereitung des Automobils, Zentralstelle Mondscheingasse in Wien-Mariahilf.

Diese Siege werden je nach Lobby-Standort unterschiedlich bejubelt, Österreich besitzt jedenfalls treffliche Marcus-Streiter. Einen Österreicher als Erfinder des Autos werden wir trotzdem nimmer ganz hinkriegen, abgesehen von der mecklenburgischen Frage.

Gesichertes Terrain betreten wir 1893. Da ergab sich der Transfer des Spenglersohns Ferdinand Porsche von einem mährischen Nest nach Wien. Er war 18 und wurde Elektrikerlehrling. Das Talent aus der Provinz traf in der Folge auf einen vifen Quergeist alter Dynastie (Ludwig Lohner aus dem Kutschenbau), man entwickelte ein neuartiges Elektromobil.

Die Deutschen hatten den Erfindervorsprung beim Benzinauto, die Franzosen eine innovative Industrie und starke Position bei Patenten, Österreich-Ungarn war Entwicklungsland. Wie auch hundert Jahre später stand man vor der Frage alternativen Antriebs, denn dass es der Benzin*stinker nicht endgültig sein konnte, ahnten schon die Alten.

Porsches Versuchsfahrten fanden nachts statt, wenn keine Pferdefahrzeuge im Weg standen, sinnvollerweise auf einer Steigung (vom Lohner-Haus in der Porzellangasse hinauf zur Votivkirche). Das war die Berggasse, und die metallbeschlagenen Holzräder waren höllisch laut, wohl auch dann, wenn Sigmund Freud auf Nummer 19 in Ruhe arbeiten wollte. Wir ahnen, dass er knurrte: „Schon wieder der Porsche mit seiner Kraxn.“

Das Elektromobil mit Radnabenmotoren, das Porsches Weltkarriere begründete, stand 1900 auf der Pariser Weltausstellung. Zwei gute Österreicher aus Tschechien und Slowenien traten zur gleichen Zeit als brillante Macher hervor: Emil Jellinek diktierte den Daimlers, wie ein ordentliches Auto auszuschauen hatte und schuf damit den Markennamen Mercedes (siehe Seite 19), Johann Puch eröffnete in Graz eine expansiv geplante Fabrik. Als technisches Highlight fällt der erste brauchbare Fronttriebler der Welt in diese Zeit, Carl Gräf erdachte ihn.

Die verkürzte Geschichtsschreibung der Zwischenkriegszeit nennt vor allem wieder den Namen Porsche. Er war erfolgreicher Schöpfer & Macher bei Austro-Daimler, Mercedes und Steyr, ehe er sich in Stuttgart selbstständig machte, einerseits den mächtigsten Rennwagen seiner Zeit (Auto Union) erdachte, andererseits alles tat, um den Volkswagen Realität werden zu lassen.

Wieweit auch Ideen anderer Erfinder entscheidend für die Technik des Käfers waren, ist heute akademischer Stoff. Viel wichtiger ist, die beiden in diesem Zusammenhang genannten Hauptpersonen in die gleiche Superliga wie Porsche zu stellen. Sie sind Stars aus eigenem Recht: Hans Ledwinka und Béla Barényi, auch sie keine typischen „Innerösterreicher“.

Ledwinka war als Erfinder-Einzelkämpfer noch fruchtbarer als Porsche himself, und ebenso vielseitig, ob es um Karosserie-Tauglichkeit, Einzelradaufhängung, Geländegängigkeit, luftgekühlte Heckmotoren oder Stromlinienform ging. Seine Lebensfirma war Tatra.

Porsche war Jahrgang 1875, Ledwinka drei Jahre jünger, Barényi kam eine Generation später (geb. 1907). Die Lebensläufe überschneiden sich dennoch früh, als der Schüler Barényi eine Prüfungsarbeit an der Maschinenbauanstalt Wien einreichte. Diese Konstruktionszeichnung von 1926 ließ ihn dreißig Jahre später einen gerichtlichen „Prioritätsstreit“ um den VW-Käfer gewinnen. Nicht aber die brisante Handskizze machte Barényis Jahrhundertbedeutung aus, sondern seine Erkenntnisse zur passiven Sicherheit. Er war weltweit der erste, der sich mit Ideen wie Sicherheitslenksäule, stabile Fahrgastzelle, Knautschzone und Seitenschutz bei einem großen Hersteller (Mercedes) so nachhaltig durchsetzte, dass die Theorie auch in Taten umgesetzt wurde. Béla Barényis Rolle als Vordenker zur Rettung von Menschenleben kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, zum Glück sind sich die Wissenschafts-Granden der Welt heute darüber einig.

Weil wir die Gymnasiastenskizze aus den Zwanzigerjahren erwähnten: Seltsamerweise war gerade diese Armutschkerl-Zeit eine ganz besondere Epoche für Österreichs Automenschen. Porsche und Ledwinka in Topform, Austro-Daimler, Steyr und Gräf & Stift als Marken von Weltgeltung, sportliche Erfolge und dramatische Auftritte des wunderbaren Förderers Alexander Graf Kolowrat, genannt Sascha wie auch seine Filmfirma, deren Logo wir doch noch gestern im Kino sahen.

In der Nazi-Zeit spielten Österreichs Automenschen keine bessere oder schlechtere Rolle als die meisten, die sich für unpolitisch hielten und das Beste für ihren jeweiligen Forschungsauftrag oder Betrieb wollten.

Ferdinand Porsche konnte nach dem Krieg keine wesentliche Aufgabe mehr übernehmen, er starb 1951. Tochter Louise rettete mit großer Umsicht die österreichische Interessenssphäre, Sohn Ferry gründete in Stuttgart das Porsche-Werk, in dem Österreichisch jahrzehntelang das bestimmende Idiom blieb. Ferrys Neffe Ferdinand Piëch startete von dort die bestens bekannte Karriere, und insgesamt funktionierte immer ein feines Netzwerk zwischen VW, Porsche-Stuttgart und dem letztlich riesigen Handelsbetrieb Porsche-Austria. Dieser Trust wurde unlängst frisch benannt, ohne dass sich Wesentliches änderte.

Dynastien, bei aller akademischen Bescheidenheit, erblühten auch bei Pischinger und List. Das Wieder-Zusammentreffen der eminenten Motorenwissenschaftler Hans List und Anton Pischinger nach dem Krieg führte zu einem Forschungsschwerpunkt Graz, der Weltgeltung erreichte und sie bis heute nicht verloren hat. In Wien machte Porsche-Schüler Eberan-Eberhorst seine Hochschulkanzel zu einem Magneten der außerordentlichen Talente. Zwischen dem Motoreninstitut AVL (List I und II), der TU Graz (Pischinger I und II) und der TU Wien (Eberan-Eberhorst, dann Hans Peter Lenz) entstand ein enormes Konglomerat an Wissen, weltweit einmalig in dieser Dichte und Konsequenz.

Diese sensationell gute Schule für Nachwuchskräfte bekam ihre eigene Dynamik, etwa ab Mitte der Sechzigerjahre, als spätere Stars wie Fritz Indra flügge wurden. Die Leute mussten natürlich ins Ausland gehen, entwickelten die üblichen zusätzlichen Kräfte von Auswanderern und machten Karriere.

Von List, Pischinger oder Lenz zu kommen, war erstens ein Europa-Gütesiegel, zweitens schafften es neue Österreicher-Seilschaften quer über die Konzerne.

Zum Glück wurden auch Strukturen geschaffen, um im eigenen Land von diesen Segnungen zu profitieren. Dazu gehörte früh das bedeutende BMW-Engagement in Steyr, schließlich das kolossale Erfolgsmodell des steirischen Clusters. Diese Bewegung aus Graz heraus hatte schon ein eigenes Momentum (da kommt wieder die Historie seit Johann Puch ins Spiel), bevor der Stronach-Turbo einsetzte. Bei aller Sentimentalität des ausgewanderten Werkzeugmachers: Magna wäre niemals in solchem Umfang nach Österreich gekommen, hätte es nicht diese hochklassige In*frastruktur von Forschung, Wissenschaft und angewandter Entwicklerfreude gegeben.

Und bevor wir so tun, als hätte die Politik gar nichts geschafft, sei noch der tapferen Cluster-Schwarzen in der Steiermark gedacht – und eines einmaligen Roten in den 1970er-Jahren. Bruno Kreisky (siehe Seite 26) fuhr zwar Rover, als die noch edle Autos bauten, ansonst war er automäßig recht naiv. Aber er kapierte, dass es nicht nur in eine Richtung laufen konnte (unsere Techniker und unsere Devisen ins Ausland), sondern dass die Autoindustrie auch etwas für Österreich tun müsse. Sein Projekt des „Austro-Porsche“ war zwar eine brotlose Hetz, aber immerhin konnte er derart grandios poltern, dass die Autowerke sehr wohl begannen, sich Gedanken zur österreichischen Wertschöpfung zu machen. Etliche heute florierende Joint Ventures gehen auf diese Zeit zurück, und grundsätzlich ist ja die ganze österreichische Autostory ein schönes Beispiel für den Nährwert der Historie.

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